Längere Lebensdauer durch Beweglichkeit
Gertrud Schöller-Bungardt weiß sich keinen Rat mehr: Schon seit vielen Jahren plagen die Realschullehrerin arge Knieprobleme. Zunächst bemerkte sie nur einen stechenden Schmerz an der Knieinnenseite – damals war sie noch aktive Leichtathletin und nahm an vielen Wettkämpfen teil. Mit der Zeit verschlimmerte sich ihr Zustand allerdings zusehends. Selbst der kurze tägliche Weg zum Einkaufen fiel ihr bald immer schwerer; schon nach einer kurzen Wegstrecke war ihr Knie geschwollen und schmerzte höllisch. Nach einer weiteren Zeit mit immer höher werdendem Schmerzmittelkonsum wurde ihr dann bewusst, dass es so nicht mehr weitergehen konnte – selbst Injektionen mit chondroprotektiven Substanzen oder gar Cortison brachten nur noch eine kurze Linderung. Auf der Suche nach einer Lösung führten aber auch Besuche bei verschiedensten Ärzten nur zur Ernüchterung, denn deren Empfehlung war stets dieselbe: Eine Endoprothese kommt nicht in Frage. Einhellige Meinung: „Dafür sind Sie noch zu jung.“
Ein Satz, der häufig fällt, wenn es um Gelenkersatz geht. Aber warum eigentlich? Dazu der Berliner Orthopäde Dr. Christoph Schulze: „Auch heute noch ist der limitierende Faktor bei einer Endoprothese deren Lebensdauer. Jeder Arzt möchte aber seinen Patienten natürlich nach Möglichkeit eine optimale Versorgung anbieten und einen Revisionseingriff vermeiden. Je jünger der Empfänger einer Endoprothese aber ist, um so schwieriger ist dieses Ziel zu erreichen. Dies liegt hauptsächlich daran, dass die meisten Knieprothesen heute eine Standzeit von im Mittel etwa 12 – 18 Jahren haben. So kann zwar in den meisten Fällen die Lebensqualität für einen langen Zeitraum erhalten werden, aber irgendwann muss der Patient damit rechnen, einen Zweiteingriff in Kauf nehmen zu müssen. Die Begrenzung der Lebensdauer der modernen Prothesen hat dabei im Wesentlichen nicht etwa mit Materialermüdung zu tun, sondern mit der Auslockerung bzw. einem vorangehenden Abrieb der Lauffläche.“
Hohe Belastung durch Scherkräfte
Auch bei Hüftprothesen ist die Auslockerung immer noch zentrales Thema vieler Forschungsprojekte, die in den letzten Jahrzehnten zu einer Reihe neuartiger Ansätze in der Medizintechnik geführt haben. Im Gegensatz zum wesentlich einfacher strukturierten Kugelgelenk der Hüfte ist das Kniegelenk allerdings komplizierter aufgebaut: Die Beugung des Knies ist eine komplexe Rollgleitbewegung, bei der die Krafteinleitung nicht nur aus einer Richtung erfolgt. Ein besonderes Problem sind dabei die Scherkräfte, die bei einer Torsion (Drehbewegung) des Gelenks auftreten. Ein gesundes natürliches Kniegelenk erlaubt diese in geringen Maßen und hält so im Normalfall eine unphysiologische Belastung vom Gelenk fern. Herkömmliche Knieprothesen dagegen arbeiten dagegen einfach ausgedrückt wie das Scharnier einer Schranktür: Sie sind nicht dafür ausgelegt, seitlich einwirkende Kräfte aufzunehmen. Da diese Torsionsbewegungen jedoch in jedem Fall in bestimmtem Umfang auftreten, ist die Folge eine hohe Belastung des auf dem Schienbein aufsitzenden Teils der Prothese. Dr. Schulze: „Diese führt innerhalb von einigen Jahren häufig zunächst zum Abrieb der Gleitfläche und später zum Stabilitätsverlust.“ Der Blick auf zahlreiche Nachuntersuchungen an Patienten bestätigt dies: Die gefürchteten Auslockerungen treten fast ausschließlich im schienbeinnahen Bereich auf.
Größere Flexibilität und längere Haltbarkeit durch rotierende Plattform
Wie kann man nun diesem Problem möglichst effektiv begegnen? „Eine der neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Knieprothetik ist das von der Fa. EndoPlus in Marl entwickelte TC-PLUS SB Solution Knie“, erläutert Dr. Schulze. „Dabei wird während der Operation schienbeinseitig nicht mehr eine starre Auflage für die Gleitflächen geschaffen, sondern eine so genannte ‚rotierende Plattform’ eingesetzt. Diese erlaubt später unter Belastung eben nicht nur eine Knickbewegung, sondern gleichzeitig innerhalb definierter Grenzen eine Drehung. So kann eine entscheidend verbesserte Aufnahme der Torsionskräfte erfolgen; die Gefahr des Abriebs wird erheblich vermindert.“ Langfristig hofft man so, die Lebensdauer des Gelenks um bis zu 50 Prozent steigern zu können. Optimal ergänzt wird der Einsatz dieser Endoprothese der neuen Generation durch die Möglichkeiten der computergestützten Chirurgie („CAS“). Dadurch ist es möglich, bereits vor dem Eingriff die Position des neuen Knies am Bildschirm zu planen und eine individuelle Anpassung an den Patienten zu erreichen. „Während der Operation liefert der Computer dem Arzt dann die entsprechenden Informationen, die er benötigt, um einen optimalen Sitz zu erreichen. Mit dieser Technik kann von Anfang an eine passgenaue Prothesenlage und die bestmögliche Funktion erzielt werden“, so Dr. Schulze. „Aber nicht nur die Ermittlung der bestmöglichen Position der Prothese profitiert vom Einsatz des Computers. Auch das so genannte ‚Balancing’ der das Knie umgebenden Bänder ist mit einer extremen Genauigkeit möglich. Dieses ist verantwortlich für den richtigen Abstand und den Winkel, in dem die obere und untere Lauffläche aufeinandertreffen. So können Schwierigkeiten vermieden werden, die sich später aus einem instabilen Bandapparat und dem damit einhergehenden ungleichen Gelenkspalt entwickeln könnten.“
Starr und stabil ist nicht dasselbe
Aber führt die mögliche Rotation des Kniegelenks nicht automatisch zu einer Instabilität? Für den Patienten ist in jedem Fall wichtig, dass er einen Gelenkersatz erhält, der ihm eine feste und sichere Bewegung ermöglicht. Dr. Schulze: „Starr und stabil ist ja nicht dasselbe. Das TC-PLUS SB Solution Knie erlaubt bei einer Beugung von 90° eine maximale axiale Rotation von ± 13°. In Streckstellung ist die axiale Rotation jedoch gesperrt, so dass eine maximale Stabilität gewährleistet ist. In dem bisher überblickten Zeitraum von etwa zweieinhalb Jahren sind bei den über 1000 eingesetzten Prothesen praktisch keine Fälle von subjektiver Instabilität aufgetreten.“
Bandapparat muss weitgehend intakt sein
Bleibt die Frage, ob jeder Patient von dieser neuen Technik profitieren kann. Dr. Schulze: „Wichtig für den Einsatz einer Endoprothese mit rotierender Plattform ist, dass der Patient noch über einen weitgehend intakten und stabilen Bandapparat verfügt. Eine leichte Varusinstabilität bei O-Bein ist noch kein Ausschlussgrund, aber Patienten mit einer Valgusinstabilität, d. h. einem X-Bein, oder hochgradiger Bandinstabilität sind für diese Art des Gelenkersatzes sicherlich nicht geeignet. Diesen Patienten kann aber ebenso ausgezeichnet geholfen werden, beispielsweise mit einer so genannten ,gekoppelten Knieprothese’ wie dem RT-PLUS Solution Rotationsknie der Fa. EndoPlus.“
aus ORTHOpress 04|2002
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