Neue Therapie auch bei Rückenschmerzen
Ob in Tablettenform verabreichte Schmerzmittel, Kortison-Spritzen oder Nervverödung – alle diese Methoden zur Schmerzbekämpfung haben letztlich eines gemeinsam: Sie schalten das Warnsignal „Schmerz“ ab und ermöglichen dem Patienten damit für eine mehr oder weniger lange Zeit, so zu leben, als ob die Ursache der Beschwerden nicht vorhanden sei.
Das ist, und darüber kann und soll nichts hinwegtäuschen, in einer Vielzahl der Fälle ein maximaler Behandlungserfolg, denn die sich im Schmerz äußernde Schädigung des Organismus ist nur selten vollständig reversibel oder wenigstens aufzuhalten. Wie aber sieht die Prognose aus, wenn die Krankheit immer weiter fortschreitet? Wie lange werden sich die Schmerzen erfolgreich durch immer stärkere Medikamente zurückdrängen lassen, während sich die Ursache immer schneller ausbreitet? Diese Frage ist der Hauptansatzpunkt in der Arthrose-Forschung. Wie kann Knorpelschwund und Entzündungsprozess wirksam Einhalt geboten werden, ohne zugleich durch die Fülle der Nebenwirkungen einer Therapie dem Patienten im Endeffekt eher zu schaden, als zu nutzen? Wer hier den Stein der Weisen gefunden habe, so die landläufige Meinung unter Medizinern, dem sei der Nobelpreis sicher. Den scheint es zunächst noch nicht zu geben – es scheint jedoch, dass Medizin und Biotechnologie dem Ziel einer Heilung noch nie so nah waren wie heute.
„In den vergangenen Jahren wurden in der Erforschung molekularbiologischer Abläufe der Gelenkzerstörung große Fortschritte erzielt. Eine zentrale Rolle spielen dabei immunbiologische Prozesse, welche nicht nur an der Entstehung der Entzündung, sondern auch an der Knorpelzerstörung einen wesentlichen Anteil haben. Diese Forschungsergebnisse führten jetzt zur Entwicklung der Interleukin-Therapie“, erläutert der Internist und Rheumatologe Dr. Lothar Meier aus Hofheim im Taunus. Grundlage dieser Methode ist die Erkenntnis, dass die sogenannten Zytokine (spezielle Botenstoffe) eine entzündliche Gelenkerkrankung hervorrufen können, wenn die komplizierte Balance von Zytokinen und ihren natürlich vorhandenen Gegnern, den Zytokin-Antagonisten, gestört ist. Beim gesunden Menschen produziert der Körper den schützenden Zytokin-Antagonisten in ausreichender Menge selbst und hält damit das Interleukin-I gewissermaßen „in Schach“. Wenn – durch welche Einflüsse auch immer – das IL-I in diesem Kampf irgendwann einmal die Oberhand gewinnt, so ist die Entstehung einer Entzündung nicht mehr aufzuhalten. Durch die neue Therapie ist es nun jedoch möglich geworden, die Zahl der Zytokin-Antagonisten im Gelenk wesentlich zu erhöhen.
Dazu wird dem Patienten mit einer spezialbehandelten Spritze, der Orthokin-Spritze, Blut entnommen.
Dr. Meier: „Die spezielle innere Oberfläche der Spritze führt dann zu einer Produktion der etwa hundertfachen Menge des Zytokin-Antagonisten. Dann wird das solcherart angereicherte Serum von den Blutzellen getrennt und in ein erkranktes Gelenk eingespritzt. So wird der Knorpel durch die künstlich erhöhte Anzahl der Zytokin-Antagonisten vor weiterer Zerstörung geschützt und die Entzündung wirksam zurückgedrängt.“
Interessant dabei ist, dass die Interleukin-Therapie nicht auf Knie- oder Schultergelenke beschränkt ist. Auch entzündliche Prozesse der kleinen Wirbelgelenke des Rückgrats und sogar der Fingergelenke können so therapiert werden. Die Wiesbadener Neurochirurgen Dr. Nubar Manuelyan und Dr. Dirk Petermeise z.B. führen die Orthokin-Therapie an den Facettengelenken der Wirbelsäule im Rahmen eines kurzen ambulanten Eingriffs unter Bildwandlerkontrolle durch. „Der Vorteil gegenüber anderen Verfahren liegt dabei nicht nur in der besonderen Verträglichkeit, sondern auch in der lang anhaltenden und umfassenden Wirksamkeit des Präparats“, weiß Dr. Manuelyan.
Dabei ist die Orthokin-Therapie gewissermaßen als Abfallprodukt der Genforschung entstanden – ein erstes Beispiel dafür, wie die von vielen geschmähte Technologie in absehbarer Zeit vielleicht helfen kann, viele unserer bislang als unabwendbar hingenommenen Zivilisationskrankheiten zu behandeln und in ferner Zukunft vielleicht sogar zu heilen. Rekombinante (gentechnisch hergestellte) humane Interleukin-I-Rezeptor-Antagonisten werden so mittlerweile mit gutem Therapieerfolg systemisch zur Behandlung von entzündlich rheumatischen Erkrankungen, z.B. der chronischen Polyarthritis im klinischen Stadium, eingesetzt und stehen kurz vor der Zulassung als Medikamente (in Spritzen- und Tablettenform). Dies unterstreiche, so Dr. Meier, den Wert und die Bedeutung dieses Therapiekonzeptes.
Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 2 | 2001
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.