Moderne operative Methoden bei Hallux valgus und Hammerzehen
Glaubt man Experten, so laufen 50 Prozent der Deutschen mit kranken Füßen herum. Einige eher pessimistische Zeitgenossen schätzen diesen Anteil sogar auf 90 Prozent, auch wenn die meisten der Betroffenen es gar nicht wissen. Unbestritten ist aber die Tatsache, dass Fußfehlstellungen in unserer Gesellschaft immer häufiger werden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass wir unsere Füße beinahe ständig in zu kleine, zu enge und zu spitze Schuhe dazu noch – zumindest der weibliche Teil der Bevölkerung – mit zu hohen Absätzen zwängen, anstatt barfuß über einen weichen Waldboden oder Sandstrand zu laufen. In Gesellschaften, die überwiegend barfuß gehen, sind Fußfehlstellungen nahezu unbekannt.
Obwohl so viele Menschen betroffen sind, fristete die Behandlung von Fußerkrankungen bis vor wenigen Jahren ein eher kümmerliches Dasein und stand ganz im Schatten der therapeutischen Möglichkeiten bei den großen Gelenken wie Knie, Hüfte oder Schulter. Durch die neuen minimalinvasiven Operationsmethoden erlebte die Behandlung von Erkrankungen dieser Gelenke einen rasanten Fortschritt. Demgegenüber galten Spreizfüße, Hammer- und Krallenzehen lange Zeit als nicht wirklich therapierbar. Zumal die Ergebnisse der bekannten Operationsmethoden in der Tat funktionell gesehen oft genug auch denkbar schlecht waren. Beim Ballenzeh, dem Hallux valgus z.B., wurde – und wird zum Teil heute noch – dabei das eigentlich funktionsfähige Großzehengrundgelenk im unteren Drittel durchtrennt, womit die Fehlstellung zwar beseitigt wird, aber auch die Funktionsfähigkeit des Gelenks. Die Optik ist wiederhergestellt, doch das Gelenk ist »funktionell amputiert« wie Spezialisten die Folgeerscheinungen beschreiben. Der Fuß kann beim Laufen nicht mehr über die so wichtige Großzehe abgerollt werden: Der Druck verteilt sich vor allem auf den zweiten und dritten Zehenstrahl, was dort dann wiederum zu einer unter Umständen recht schmerzhaften Veränderung der Statik führen kann.
Neue Methoden setzen sich langsam durch
Das alles muss aber heutzutage nicht mehr sein. Immer mehr engagierte Orthopäden wenden inzwischen auch bei der Korrektur von Fußfehlstellungen neue Operationsmethoden an, die überwiegend aus den USA stammen, wo sie zum Teil schon seit vielen Jahren bekannt sind. „Seit den Neunziger Jahren hat die Fußchirurgie in Deutschland deutlich aufgeholt“, erklären dazu die Berliner Orthopäden Dr. Jürgen Wied und Dr. Karsten Moeller, die schmerzende Füße nach diesen neuen Methoden in ihrer Schöneberger Praxis behandeln.
Die häufigste Fußdeformität bei uns ist der Spreizfuß, der oft auch zu einem Ballenzeh, dem Hallux valgus, führt. Beim Spreizfuß weichen die Mittelfußknochen auseinander und führen zu einer Abflachung des Quergewölbes. Beim ersten Strahl, also an der Großzehe, ist die V-förmige Abweichung zur Mitte hin besonders ausgeprägt. Gleichzeitig neigt sich die Großzehe im Grundgelenk immer stärker in Richtung zur kleinen Zehe hin. Dadurch entsteht im Grundgelenk optisch der Eindruck eines Ballens oder Überbeins. Funktionell wird durch die zunehmende Fehlstellung der Bewegungsablauf beim Gehen gestört. Alle Schuhe werden zu eng und es kommt zu schmerzhaften Druckstellen am »Ballen« und unter den Mittelfußknochen.
Zunächst wird man in diesen Fällen versuchen, mit konservativen Mitteln die Beschwerden in den Griff zu bekommen. Bei etwa 10 bis 20 Prozent der Fußgeschädigten können damit jedoch die schmerzhaften Symptome nicht beherrscht werden und ein operativer Eingriff wird erforderlich. „Um die natürliche Funktion des Fußes wiederherzustellen, müssen die beiden auseinandergewichenen Schenkel der Zehengelenke wieder in ihre ursprüngliche Position zurück gebrachtwerden“, erläutert Dr. Wied das Prinzip der Operation.
Je nach Grad und Art der Fehlstellung – die präoperativ sorgfältig im Einzelfall festgestellt werden muss – stehen dabei verschiedene Operationsmethoden zur Verfügung. Während des Eingriffs wird der erste Mittelfußknochen entweder V- oder Z-förmig durchtrennt. Die einzelnen Fragmente werden so gegeneinander verschoben, dass die Fehlstellung komplett korrigiert wird. Die neue Stellung wird durch eine oder mehrere versenkte Titanschrauben fixiert, so dass bis zur knöchernen Ausheilung keine Verschiebung eintreten kann. Zur Sicherung des Operationserfolges müssen auch die umgebenden Weichteile wie Sehnen und Muskeln, die durch die Fehlstellung ja auch verschoben sind, an die veränderten anatomischen Verhältnisse angepasst werden. So werden in der etwa einstündigen Operation die natürlichen Verhältnisse in einer Sitzung wiederhergestellt. Eine im Prinzip gleiche Behandlung ist auch bei der Fehlstellung der kleinen Zehe möglich, wenn diese sich unter oder über die Nachbarzehe schiebt.
Korrektur bei Hammerzehen
Spreizfüße führen aber nicht nur häufig zur Ausbildung eines Ballenzehs, auch Hammer- und Krallenzehen findet man überdurchschnittlich oft bei ihnen. Während die Großzehe bei zu engem Schuhwerk in ihrer Richtung abweichen kann, werden die zweite bis fünfte Zehe eher gestaucht. Durch das dadurch ausgelöste Ungleichgewicht zwischen den streckenden und beugenden Sehnen werden das Zehengrundgelenk überstreckt und gleichzeitig die Mittel- und Endgelenke verstärkt gebeugt. Bei Krallenzehen ist die Veränderung so ausgeprägt, dass sie den Boden gar nicht mehr berühren können. Ihre Stützfunktion für den Fuß fällt damit völlig aus. Dr. Moeller: „Die Betroffenen leiden nicht nur darunter, dass ihnen kein normaler Schuh mehr passt. Das veränderte Abrollverhalten beim Gehen führt auch zu ausgeprägten Schmerzen, die wiederum eine Schonhaltung mit Verkrampfungen und weiteren Schmerzen bedingen. Ein regelrechter Teufelskreislauf kommt in Gang.“
Auch Hammer- und Krallenzehen lassen sich heutzutage so behandeln, dass ein ausbalancierter, schmerzfreier Fuß wiederhergestellt wird und ein normaler Konfektionsschuh getragen werden kann. Wurde früher bei Hammerzehen schlicht der Knochen durchtrennt und ein ganzes Gelenkstück entfernt – was ebenfalls einer funktionellen Amputation gleichkam –, führen moderne Orthopäden heute eine mikrochirurgische Sehnenverlängerung durch. In einigen Fällen kommt auch eine Sehnenverlagerung in Betracht, erklärt Dr. Wied. Die an der Zehenunterseite liegende Beugesehne, die die Zehe verkrümmt hält, wird so versetzt, dass sie anschließend die Zehe streckt.
»Lebensraum-Gestalter«
Krankengymnastik sichert den Operationserfolg
Die modernen Fußoperationen werden ambulant oder kurzstationär durchgeführt. „Die meisten Patienten sind spätestens am Tag nach der Operation wieder auf den Beinen, was nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Thromboseprophylaxe von Bedeutung ist. Die Entlassung erfolgt in der Regel am zweiten oder dritten Tag“, berichtet Dr. Moeller von seinen Erfahrungen. Ein Gehgips ist nicht erforderlich, da die Knochen ja – wie oben beschrieben – übungsstabil verschraubt sind. Allerdings kommen auch die modernsten therapeutischen Methoden nicht ohne die aktive Mitarbeit der Betroffenen aus. Eine intensive Krankengymnastik und aktive Beübung der Gelenke helfen, die Beweglichkeit zu erhalten und den Operationserfolg zu sichern. Dann können nach Abschluss der Heilung auch sportliche Aktivitäten wieder aufgenommen werden.
aus ORTHOpress 2 | 2002
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