Karbonfaserstifte statt Knieprothese
Fragt man einen Patienten, welche Leiden die Menschen körperlich und auch finanziell wohl am meisten belasten, so wird man in den meisten Fällen wohl Antworten wie „Krebs“, „Herzinfarkt“, „Schlaganfall“ usw. erhalten.
Weit gefehlt! Für über 50% aller Rentenbegehren in Deutschland ist der „Fluch“ unserer Zivilisation verantwortlich: die Arthrose.
Auch bei jungen Menschen ist dabei heute eine beginnende oder fortgeschrittene Kniearthrose nicht so selten, wie man vielleicht annehmen sollte: Oft zeigt ein dumpfer Schmerz oder ein verräterisches Knacken der Gelenke nach dem Treppensteigen oder dem Tragen von Lasten bereits an, dass etwas im Argen liegt. Wodurch aber entsteht eine solche Erkrankung und was kann man dagegen tun? Eine Kniearthrose kann sich aus den verschiedensten Gründen ausbilden. Nicht immer ist ein Altersverschleiß dafür verantwortlich. Bei jungen Menschen kann z.B. eine Sportverletzung dazu führen, dass die Knorpelfläche verletzt wird. Ist dieser natürliche Stoßdämpfer unseres Kniegelenks einmal angegriffen, so schreitet ohne eine adäquate Behandlung die Zerstörung des Knorpels unaufhaltsam fort. Am Ende steht der Totalverlust der Gleitfläche des Kniegelenks mit für den Patienten unerträglichen Schmerzen.
Dabei lässt sich die Totalendoprothese (ein „künstliches“ Kniegelenk) bei vielen Patienten heute glücklicherweise vermeiden. „Ist der Knorpelschaden noch nicht weit fortgeschritten, so kann man durch eine arthroskopische Spülung des Gelenks oder auch eine Glättung der Knorpeloberfläche Schmerzlinderung und bessere Beweglichkeit erreichen“, erläutert der Orthopäde René Conrads, ärztlicher Leiter der Orthopädie am Stadtwald in Köln. Auch Hyaluronsäurepräparate (Anm.: eine künstliche Gelenkflüssigkeit, welche die Bewegung des Kniegelenks und die Ernährung des Knorpels verbessert) können helfen die Ausbreitung des Knorpelschwunds zu vermeiden.
Ist die Knorpelschädigung jedoch weiter fortgeschritten, so helfen diese Maßnahmen allein nicht mehr. Aber auch hierfür stehen heute durchaus geeignete Maßnahmen zur Verfügung. Sind die Knorpelschäden regional begrenzt, so kann man z.B. ein kleines, zylinderförmiges Knorpelplättchen von der hinteren, weniger belasteten Seite des Kniegelenks entnehmen und damit die schadhafte Stelle im Bereich der Lauffläche auffüllen. Man spricht dann von einer sog. „Knorpel-Knochenzylinder-Transplantation“. Dieses Verfahren ist vielfach bei jungen Patienten das Mittel der Wahl, bei denen durch einen Sturz oder eine Sportverletzung ein kleinerer lokaler Knorpelverlust aufgetreten ist.
Problem dabei ist, dass aber natürlich nicht unbegrenzt „Ersatzknorpel“ zur Transplantation zur Verfügung steht. Bei großflächigeren Defekten ist dieses Verfahren dabei von vornherein nicht möglich. Ist eine solche Indikation gegeben, versucht man daher heute auch eine Neubildung von Knorpelgewebe anzuregen.
Eine neuartige, aus den USA stammende Methode ist dabei die Anwendung von Karbonfaserstiften. Hierbei wird der bloß liegende, verhärtete Gelenkknochen bis in das normal durchblutete Knochengewebe mehrfach durchbohrt und mit Karbonfaserstiften versehen. Diese aus einem Gewebe bestehenden Stifte quellen binnen kurzer Zeit auf und verhindern eine Nachblutung. Sie regen gleichzeitig das Wachstum von Bindegewebszellen aus der Tiefe an, die sich, an der Gelenkoberfläche angelangt, durch Gelenkbewegung in Knorpel umwandeln und so die vorherigen Knorpeldefekte wieder auffüllen. Zwar handelt es sich bei dem entstehenden Knorpel „nur“ um so genannten Faserknorpel, der wesentlich weniger belastbar ist als der ursprüngliche, hyaline Gelenkknorpel – die Alternative wäre jedoch der Einbau eines Kunstgelenks – mit allen Risiken einer großen, „offenen“ Operation.
Klinische und kernspintomografische Untersuchungen ermöglichen dem Arzt in der Nachbehandlung dabei die Beurteilung des Heilungsprozesses. Da die Implantation der Karbonfaserstifte mittlerweile im gesamten Gelenk arthroskopisch und sogar ambulant durchgeführt werden kann, ist diese Art der Operation besonders schonend, der postoperative Verlauf in den allermeisten Fällen einfach und komplikationslos.
Dabei ist – sollte dies später doch einmal notwendig werden – die Implantation einer Knieprothese immer noch möglich. Bisherige Studien gehen davon aus, dass dieses Operationsverfahren den Einbau eines künstlichen Gelenks nicht beeinträchtigt. Ergebnisse aus England und Schweden zeigen darüber hinaus, dass der künstliche Ersatz des gesamten Gelenkes dadurch im Einzelfall um Jahre aufgeschoben werden kann.
Bereits rund 4 Wochen nach dem Eingriff kann mit einer begleitenden Rehabilitation begonnen werden, bei der die Belastung des Kniegelenks Schritt für Schritt wieder auf ein der täglichen normalen Bewegung entsprechendes Maß gesteigert wird.
René Conrads: „Es gibt heute noch kein Verfahren, mit welchem der ursprüngliche Gelenkknorpel dazu veranlasst werden kann, in gleicher Qualität nachzuwachsen. Mit dem Einsatz der Karbonfaserstifte kann man jedoch vielen Patienten zu weit gehender Schmerzfreiheit verhelfen und so Beweglichkeit und Lebensqualität steigern.“
Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 3 | 2001
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.