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Behandlungsmethoden

Die mikrochirurgische Bandscheibenoperation der Lendenwirbelsäule

Closeup low angle view of an early 60's senior gentleman having some back pain. He's at doctor's office having medical examination by a male doctor. The doctor is trying to make the patient reach his toes with finger tips while sitting.

Das Wort „Bandscheibenoperation“ ruft bei vielen Menschen negative Assoziationen wach, werden doch damit häufig Begriffe wie Lähmungen, starke Schmerzen, Berufsunfähigkeit und Invalidität verbunden. Auch besteht vielfach die Auffassung, die Bandscheibenoperation sei eine völlig veraltete Behandlungsmethode, zu der es jetzt viele weitaus bessere Behandlungsalternativen gäbe – man „operiere heutzutage nicht mehr“, da ein solcher Eingriff gefährlich und die Behandlungsergebnisse schlecht seien. Es erscheint an der Zeit, das Wesen der Bandscheibenoperation in ein rechtes Licht zu rücken und weit verbreiteten, zum Teil haarsträubenden Irrmeinungen entgegenzu­wirken.

Die menschliche Wirbelsäule ist für den aufrechten Gang schlecht geeignet. Durch die vertikale Lastenverteilung entlang des Achsenskeletts und der damit verbundenen Kumulation von Krafteinwirkungen ist besonders die Lendenwirbelsäule beträchtlichen Strapazen ausgesetzt. Die Erkenntnis, dass die menschliche Wirbelsäule bereits ab ca. dem 25. Lebensjahr „degenerativen Prozessen“ anheim fällt, tröstet nur wenig, unterstreicht aber, dass im Laufe des Lebens „Verschleißerscheinungen“ der Wirbelsäule ebenso „normal“ sind wie das Ergrauen der Haare oder das Faltigwerden der Haut.

Der Verschleiß der Wirbelsäule findet grundsätzlich auf zweierlei Arten statt: zum einen in knöchernen Veränderungen der Wirbelkörper, zum anderen in einer „Austrocknung“ der zwischen den Wirbelkörpern befindlichen Band­scheiben. Knöcherne Veränderungen äußern sich in Form von Anbauten insbesondere im Grund- und Deckplattenbereich der Wirbelkörper sowie der kleinen Wirbelgelenke (Spondylosis deformans, Wirbelgelenksarthrose), welche zu Einengungen des Wirbelkanals und der Nervenaustrittslöcher führen. Das „Austrocknen“ (Dehydratation) der Bandscheibe bewirkt, dass der im Inneren befindliche Gallertkern (Nucleus pulposus) seine ursprüngliche Festigkeit und damit Stoßdämpferfunktion verliert und innerhalb des um ihn herum befindlichen Faserringes „herumzuschwappen“ beginnt. Dieser wiederum wird dadurch ausgeleiert und brüchig. Bis hierher wäre dies alles nicht so schlimm, denn weder Gallertkern noch Faserring verfügen über Rezeptoren, welche das Symptom „Schmerz“ an das Gehirn vermelden würden; bislang muss also noch nichts weh tun. Hält aber der ohnehin schon geschwächte Faserring den ständigen Druckwellen des Gallertkerns, die aus jeder Körperbewegung resultieren, nicht mehr stand, so wölbt er sich aus dem Zwischenwirbelraum vor oder er reißt, und zwar tut er dies so gut wie immer nach hinten, da er hier von vornherein am schwächsten ausgebildet ist. Das Resultat ist dann entweder eine Bandscheibenvorwölbung (Diskusprotrusion) oder ein Bandscheibenvorfall (Diskusprolaps), wobei es eher eine philosophische Betrachtung ist, in welchem Stadium oder bei welcher Größe eine Vorwölbung aufhört, eine solche zu sein, um zum Vorfall zu werden. Letztlich geht es um die Frage, ob dadurch überhaupt und wenn, welche schmerzvermittelnden Strukturen in welchem Ausmaß bedrängt werden. Ist nämlich Letzteres der Fall, dann beginnt die bekannte Malaise, deren Spielarten vom sporadischen Hexenschuss bis hin zum Querschnittsyndrom (Caudasyndrom) reichen. Jene Strukturen, die letztlich den Schmerz produzieren, sind grundsätzlich das hintere Längsband, welches durch Dehnung hauptverantwortlich für den Kreuzschmerz (Lumbalgie) ist, und die regional aus dem Wirbelkanal austretende Nervenwurzel, welche den ins Bein ziehenden Schmerz (Ischialgie) fortleitet. Dies erklärt auch, warum bei Bandscheibenvorfällen unabhängig voneinander Kreuz- bzw. Beinschmerzen auftreten können. Da die Nervenwurzel neben schmerzleitenden Nervenfasern aber auch solche für Berührung, Druck- und Temperaturempfinden und zusätzlich noch motorische Fasern beinhaltet, ergibt sich, dass es in dem von ihr versorgten Hautareal nicht nur zu Schmerzen, sondern auch zu Gefühlsstörungen (Einschlafgefühl, Kribbeln, Ameisenlaufen, im Extremfall völliger Gefühllosigkeit der entsprechenden Hautpartie) und vor allem auch zu Lähmungserscheinungen der von ihr versorgten Muskelgruppen kommen kann.

Wann soll eine mikrochirurgische Bandscheibenoperation durchgeführt werden?

Unter bestimmten Voraussetzungen stellt die Operation nach wie vor die einzige Möglichkeit dar, den Patienten vom Schmerz zu befreien und ihn vor bleibenden Schäden zu bewahren.

Unbedingt und sofort muss ein Bandscheibenvorfall operiert werden, wenn durch ihn neben Schmerzen und Lähmungserscheinungen in den Beinen auch eine Blasenstörung in Form entweder einer Harnverhaltung oder einer Inkontinenz verursacht wird (peripheres Querschnittsyndrom, Caudasyndrom). Meist handelt es sich hier um sehr große Vorfälle mit plötzlich einsetzender Symptomatik (Massenprolaps).

Dringlich sollte auch operiert werden, wenn deutliche neurologische Ausfälle vorliegen und diese keine Rückbildungstendenz zeigen. Nachlassender Schmerz muss nicht immer ein günstiges Zeichen sein und kann auch auf einen sog. „Wurzeltod“ hindeuten (Schlagwort: „Schmerz weg – Fuß hängt“).

Bei eindeutiger klinischer Symptomatik wie typischer Schmerzausstrahlung und ausgeprägtem Nervendehnungsschmerz sowie bildgebend nachgewiesenem Bandscheibenvorfall, jedoch fehlenden oder nur geringfügigen neurologischen Ausfällen sollte nach spätestens 4 bis 6 Wochen intensiver konservativer Behandlung die Operation ins Auge gefasst werden. 

Dass hier so mancher falsche Prophet reüssiert, verwundert nicht weiter. Fest steht aber, dass viele Patienten die Phase des Ausprobierens verschiedener angebotener Therapieformen unnötig in die Länge ziehen, um sich letzten Endes dann doch operieren zu lassen. Dann aber kann bereits jener Zeitpunkt eingetreten sein, wo sich der Schmerz verselbstständigt und seine ursprüngliche Warnfunktion eingebüßt hat; er ist dann zum autonomen psychophysischen Erlebnisinhalt, zur Schmerzkrankheit an sich geworden. Man tut der Operation Unrecht, sie zu verdammen, wenn sie dann nicht mehr den erhofften Erfolg bringt, der sich vor einigen Wochen vermutlich noch eingestellt hätte.

Was geschieht bei der Bandscheibenoperation?

Die Verwendung des Operationsmikroskops hat sich bei der lumbalen Bandscheibenoperation weitgehend durchgesetzt. Sie erlaubt neben kleinen Schnitten (ca. 3 cm) und nur minimal gewebsdestruierenden Zugängen bei optimaler Sicht eine mikrochirurgische, also sehr subtile Manipulation der anatomischen Strukturen. Große Schnitte, traumatisierende Zugangswege, die Wegnahme ganzer Wirbelbögen und exzessive Blutungen gehören heute der Vergangenheit an! In leicht gebeugter Bauchlage wird nach vorhergehender Identifizierung des betroffenen Segments in Durchleuchtung und nach schonendem Lösen der Rückenmuskulatur der Zwischenwirbelraum auf der betroffenen Seite freipräpariert. Er stellt das Fenster zum Wirbelkanal dar, welches nun durch Wegnahme von einigen Millimetern Knochen vom Wirbelbogen bzw. dem inneren Gelenksanteil mit der Mikro-Fräse sowie durch Eröffnung des „gelben Bandes“ durchdrungen wird. Die Nervenwurzel bzw. der Duralsack werden vorsichtig etwas zur Mitte verlagert, wodurch der Bandscheibenvorfall dargestellt und entfernt werden kann. Danach wird der Gallertkern der Bandscheibe möglichst umfassend ausgeräumt, um zu verhindern, dass eventuell verbliebene Diskusfragmente später wieder in den Wirbelkanal vordringen können. Der verbleibende Faserring reicht als Puffer zwischen Grund- und Deckplatte der angrenzenden Wirbelkörper aus.

Nach der Operation

Nach dem Aufwachen aus der Narkose bemerkt die Mehrzahl der Patienten, dass der Schmerz im Bein verschwunden ist, Gefühlsstörungen und Muskelschwächen können jedoch – je nach Ausprägung vor der Operation – noch eine längere Zeit der Rückbildung beanspruchen.

Noch am späteren Nachmittag des Operationstages wird der Patient mobilisiert, d.h. er kann bereits aufstehen und die Toilette aufsuchen. Der zu dieser Zeit natürlicherweise vorhandene Wundschmerz lässt sich praktisch immer medikamentös gut beherrschen. Am ersten Tag nach der Operation kann der Patient einige Male für 5 bis 10 Minuten aufstehen und ein bisschen herumgehen, längeres Sitzen – ausgenommen bei der Einnahme der Mahlzeiten – sollte noch vermieden werden. Am zweiten postoperativen Tag können Aktivität und Mobilität wieder etwas gesteigert werden, am dritten Tag ist in der Regel die Entlassung nach Hause möglich. Zu Hause sollte längeres Gehen, Stehen und Sitzen noch vermieden werden, insgesamt ist weitestgehende körperliche Schonung angesagt. Nach der ambulanten Nahtentfernung am 8. oder 9. Tag kann mit einer leichten physikalischen Therapie begonnen werden. Die postoperative Physiotherapie ist im Übrigen eine der wesentlichen therapeutischen Maßnahmen zur weiteren Genesung des Patienten, ohne die ein optimales Operationsergebnis nicht zu erwarten ist.

Heute sind gut 90% der lumbalen Bandscheibenoperationen erfolgreich. Erfolgreich bedeutet hier nicht etwa, dass der Ablauf der Operation an sich geglückt ist (das wäre ein zu geringer Prozentsatz), sondern dass der operierte Patient bei voller oder nur geringgradig eingeschränkter körperlicher Leistungsfähigkeit sowie bei Schmerzfreiheit oder bei nur gelegentlich auftretenden Kreuz- und/oder Beinschmerzen wieder vollständig oder nur mit geringfügigen Abstrichen in sein früher gewohntes Leben integriert werden kann. 

Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 2 | 2001
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.