Insbesondere an den Füßen zeigt sich unser manchmal verqueres Schönheitsideal: Angezogen sollen sie in möglichst eleganten, spitzen Schuhen mit hohem Absatz stecken – ausgezogen soll der Fuß schlank, natürlich geformt und ohne Druckstellen und Hühneraugen sein. Leider ist das nicht immer miteinander zu vereinbaren. Fußschmerzen zählen daher neben Rückenleiden zu den häufigsten Beschwerden unserer Zeit. Platt- und Hohlfüße sind dabei zwar nicht immer die direkte Folge von zu spitzem und zu engem Schuhwerk, aber sie machen – und das wird mitunter als viel schlimmer empfunden – das Tragen solch modischer Schuhe unmöglich. Kein schöner Zustand: Müssen wir doch mit unseren Füßen im Laufe unseres Lebens rund 120.000 Kilometer zurücklegen – das entspricht immerhin gut einem Drittel der Entfernung der Erde zum Mond!
Um so verwunderlicher dabei, dass es heute zwar als fachärztliche Ausbildung den Handchirurgen gibt, nicht jedoch den Fußchirurgen, meinen die Chirurgen Dr. Janusz Pieczykolan und Dr. Oliver Tobolski, mit denen ORTHOpress in Köln sprach:
Dr. Pieczykolan, unter Fußchirurgie verstehen auch die meisten Ärzte heute noch die Entfernung des Großzehengrundgelenks und das Abschleifen von schmerzhaften Überbeinen. Wie sieht es wirklich aus?
Dr. Pieczykolan: In den letzten Jahren hat die Fußchirurgie erhebliche Fortschritte gemacht. Natürlich hat kaum ein Problem den Fußchirurgen dabei in den letzten Jahren mehr beschäftigt als der Hallux valgus: Nicht behandelt führt er stufenweise zur Deformierung des ganzen Fußes. Dass Weichteileingriffe allein ebenso wie eine konservative Behandlung mit Einlagen oder besonderer Trainingstherapie auf die Dauer das Problem nicht lösen können, ist inzwischen allgemein bekannt. Mit entsprechenden knöchernen Korrektureingriffen, die das Erhalten der Gelenke ermöglichen, kann jedoch heute in vielen Fällen ein ausbalancierter, stabiler und schmerzfreier Fuß erreicht werden.
Aber Fußschmerz ist nicht immer eine Folge des schmerzhaften Großzehenballens.
Dr. Tobolski: Richtig. Neben dem Hallux valgus gibt es eine ganze Anzahl von Deformitäten, die im Alltag große Probleme mit sich bringen können. Senk- und Spreizfüße können mindestens ebenso schmerzhaft sein und im übrigen auch die Körperstatik massiv beeinflussen. Wer ständig falsch abrollt, nutzt nicht die natürliche Federung, die Schäden von unserem Körper fernhalten soll. Werden solche Fehlfunktionen über lange Zeit nicht behandelt, so können die Auswirkungen auf Wirbelsäule und Becken erheblich sein. Die Folge sind dann oft „Ganzkörperschmerzen“, bei denen der Patient selbst die Ursache nicht mehr nennen kann – die Füße sind also sehr viel mehr als nur „Fortbewegungsmittel“.
Wie entstehen solche Deformitäten?
Dr. Pieczykolan: Der Schulmedizin fällt die Abgrenzung der einzelnen Unterformen von Hohlfuß, Hammer- und Krallenzehen voneinander und die exakte Diagnose immer noch schwer. Als gesichert gilt jedoch, dass in vielen Fällen eine genetische Disposition besteht. Bei vielen Patienten lassen sich zudem neurologische Störungen nachweisen. Dabei kann die Stellung der Zehen durchaus über einen langen Zeitraum hinweg normal sein bzw. nur am belasteten Fuß sichtbar werden. Aus den veränderten Kräfteverhältnissen und der daraus resultierenden Kompensationshaltung beim Auftreten und Gehen entsteht dann aber mit der Zeit die typische Deformität, welche eine normale Bewegung nicht selten unmöglich macht. Selbst wenn eine Fortbewegung ohne Hilfsmittel noch möglich ist, so ist oft bereits die Ganggeschwindigkeit stark eingeschränkt, da die Belastung des Fußgelenks mit steigender Geschwindigkeit nicht linear, sondern nahezu exponentiell verläuft.
Bewahren uns Gesundheitsschuhe vor Fußschmerzen?
Dr. Tobolski: Nein. Es gibt viele Menschen, die ihr Leben lang „ungesunde“ Schuhe tragen und dennoch nicht an Deformitäten oder Schmerzen leiden. Andererseits kann aber bei einer bestehenden Vorschädigung zu enges Schuhwerk der Bildung einer ausgeprägten Deformität Folge leisten.
Welchen Stellenwert nehmen bei den Fußbeschwerden Durchblutungsstörungen bzw. der so genannte „Diabetische Fuß“ ein?
Dr. Pieczykolan: Einen sehr hohen: Man muss sich vor Augen halten, dass immer noch rund 28.000 Füße jährlich in Deutschland auf Grund diabetischer Komplikationen amputiert werden müssen. Mit einer rechtzeitigen und richtigen Behandlung könnten viele dieser Amputationen verhindert werden. Das wichtigste Prinzip bei Fußschmerzen durch Gefäß- oder Nervenerkrankungen ist eigentlich immer gleich: Besonders wichtig ist die Druckentlastung auch bei bereits kleinsten Fußverletzungen, denn Druck auf eine kleine Wunde beispielsweise am Fußballen führt immer zu einer Ausdehnung der Wunde in tiefere Gewebsschichten. Im schlimmsten Fall wird sogar der Knochen erfasst, und die Behandlung verlängert sich oder der Behandlungserfolg ist in Frage gestellt. Daher ist die Druckentlastung oberstes Gebot und lässt sich auch einfach erreichen durch spezielle entlastende Schuhe, z. B. einen Vorfußentlastungsschuh.
Dr. Pieczykolan, Dr. Tobolski, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
ORTHOpress 4 | 2001
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