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Rücken

3D-Wirbelsäulenvermessung

Womans back is beeing measured by a doctor

Wie Wirbelsäulenpatienten wieder Boden unter den Füßen gewinnen …

Herr Dr. Pieczykolan, bisher bin ich davon ausgegangen, dass sich vielen Rückenproblemen durch eine „gute“, gerade Haltung vorbeugen lässt. In Ihrem Behandlungskonzept schenken Sie u.a. den Fußsohlen besondere Beachtung? Was haben diese denn mit der Körperhaltung bzw. Rückenproblemen zu tun?

Dank der relativ jungen Erkenntnisse der sog. Posturologie, der Lehre von der Körperhaltung, weiß man heute, dass es bei Rückenschmerzen, die aus Haltungsfehlern resultieren, nicht zureicht, den Rücken bzw. die Wirbelsäule isoliert zu betrachten. Natürlich kommt muskelaufbauenden und -stabilisierenden krankengymnastischen Übungen in diesem Bereich eine nicht unwesentliche Bedeutung für die Körperstatik zu, doch dabei handelt es sich nur um einen Teilaspekt der insgesamt für die Körperhaltung ausschlaggebenden Faktoren und ist die Ermahnung, die etwa unzählige Generationen von Schülern erhalten haben, nämlich sich „gerade“zu halten, von vornherein eine Reduktion der hier sehr komplexen Verhältnisse. In neuer Sicht ist die Körperhaltung nicht allein in Abhängigkeit von der Schwerkraft und vom im gesamten Organismus befindlichen Muskel- und Bänderapparat zu sehen, sondern insbesondere auch als sog. polysensorische Interaktion zu begreifen, d.h. das Ergebnis vielfältiger Wahrnehmungen, von außen wie innen einwirkender Informationen, auf welche die Körperhaltung letztlich eine Antwort darstellt. Zu den „Wahrnehmungsorganen“ der Körperhaltung, welche Informationen von der Außenwelt empfangen, gehören Augen, Ohren, Mandibula, also der Unterkiefer, und eben auch in zentraler Weise die Fußsohlen.

Das leuchtet ein. Tatsächlich hält und bewegt man sich ja anders, wenn man barfuß über eine Wiese läuft, als wenn man plötzlich einen Kiesweg queren muss.

Das ist ein Aspekt. Zum einen gibt es neben diesen aus bestimmten Haut­rezeptoren stammenden Wahrnehmungen viele weitere Rezeptoren, die Informationen nicht nur spinal, also an das Rückgrat weiterleiten, sondern auch an das Zentrale Nervensystem und etwa für die Art und Weise, in welcher der Fuß aufgesetzt wird, ausschlaggebend sind, für die Krafteinteilung, die Geschwindigkeit der Verlagerung, die Gelenkstellung usf. Zum anderen kommt den Fußsohlen als solches eine Schlüsselfunktion hinsichtlich der aufrechten Körperhaltung zu. Auf diesem statischen wie dynamischen Fundament nämlich stützt sich der gesamte Körper ab; eine Beeinträchtigung im Bereich der Auftrittsfläche zieht vielfältige funktionelle Störungen im gesamten System nach sich.

Und deshalb ist es also möglich, eine gestörte Körperhaltung von den Füßen her ursächlich zu therapieren?

Ziel einer speziellen Einlagenversorgung ist es, die korrekte dreidimensionale statische Anordnung des Fußes wiederherzustellen. Dazu muss man wissen, dass im Fuß je verschiedene Muskelansätze zuständig sind für die Aufrechterhaltung der normalen Gewölbeform, die sich zusammensetzt aus dem vorderen Quergewölbe, dem medialen Längsgewölbe und dem lateralen Längsgewölbe, die insgesamt die Fußstatik gewährleisten. Die Einlagen sind dabei nicht mit den bisher üblichen Schuheinlagen zu verwechseln. Es handelt sich dabei um prallelastische Spezialeinlagen mit spezifischen Stimulationspunkten, die auf die genannten Muskelareale gezielt einwirken. Mittels dieser Stimulation lernen die Rezeptoren dann gewissermaßen innerhalb eines bestimmten Zeitraums, wieder ihre normale Funktion auszuüben.

Welche Rolle kommt hier der 3D-Wirbelsäulenvermessung zu?

Die Rasterstereografie ist das eigentliche „Standbein“ des neuen therapeutischen Konzeptes. Sie ist Grundlage der Diagnose und darauf aufbauender verschiedener Untersuchungsmethoden, potenziell ständiges Kontrollinstrument des Therapieverlaufs und damit Bindeglied der Therapie, Basis insbesondere auch der hier erforderlichen interdisziplinären Vorgehensweise. Denn, wie eingangs erwähnt, sind ja nicht allein die Fußsohlen an der Körperhaltung beteiligt. – Im Rahmen des ganzheitlichen Ansatzes kooperieren wir daher auch sehr eng mit anderen Fachärzten, neben Augen- und Ohrenspezialisten vor allem auch mit einem Kieferchirurgen. – Darüber hinaus gilt es bereits in den Voruntersuchungen, einen orthopädischen Ganzkörperstatus des Patienten zu ermitteln. Dazu zählen die Muskelfunktionstes­tung im gesamten Bewegungsapparat einschließlich der Kiefergelenke, deren asymmetrische Stellung auf Grund der komplexen Zusammenhänge im cranio-sakralen System funktionelle Störungen bis hin zur Skoliose hervorrufen können, Haltungs- und Gang­analyse, Gleichgewichts- und Augenfunktionstests.

Was leistet nun die 3D-Vermessung im Speziellen?

Mittels dieses bildgebenden Messsystems ist die berührungsfreie, dreidimensionale Untersuchung der Wirbelsäule, des Beckens und jedes einzelnen Wirbels als Oberflächenvermessung möglich. So lassen sich derart eine mögliche Fehlstatik der Wirbelsäule, Wirbelsäulen-Deformitäten, Skoliosen, muskuläre Dysbalancen objektiv sichtbar machen und millimetergenau vermessen – und zwar gänzlich ohne Strahlenbelastung für den Patienten. Es eignet sich damit nicht nur zur letztlich beliebig oft wiederholbaren Anwendung, zur Verlaufskontrolle, die im Rahmen einer Einlagentherapie etwa nach ca. drei Monaten erfolgt, sondern bietet sich insbesondere auch zur Früherkennung von Haltungsproblemen bereits bei Kindern an. Das Verfahren nämlich beruht auf Lichtprojektion. Mittels einer Projektionseinheit mit Rasterdiapositiv wird auf den Rücken des Patienten, der sich auf einer höhenregulierbaren Simulationsplattform befindet, ein Lichtraster projiziert, das entsprechend der dreidimensionalen Oberflächenform als eine Art Wellenmuster erscheint. Von einer Videokamera aufgenommen, wird dieses Bild in einen Rechner eingelesen und mit den üblichen Methoden der digitalen Bildverarbeitung analysiert. Aus den gewonnenen Daten können dann alle wichtigen Parameter errechnet werden, d.h. Lot- und Seitabweichungen der Wirbelsäule, eventuelle Beckenschiefstände oder – dem bloßen Auge kaum sichtbare – Rotationen auf allen Wirbelsäulenabschnitten auf Punkt und Komma vermessen werden. Per CT, Kernspin oder Röntgen dagegen ist es oft nicht einmal möglich, diese spezifische Schmerzsymptomatik zu objektivieren. Auch kann beim 3D-Messverfahren über die höhenverstellbare Plattform etwa ein eventueller Beinlängenausgleich bei Beckenschiefstand simuliert und damit unmittelbar Aufschluss über entsprechende therapeutische Maßnahmen gewonnen werden. Das Datenverarbeitungssystem erlaubt außerdem eine problemlose Form der Bild- und Befundarchivierung, was sowohl für die interdisziplinäre Zusammenarbeit als auch für die jeweiligen Therapiekontrollen von entscheidendem Vorteil ist.

Ein doch recht großer technologischer Aufwand!

Der sich in jedem Fall lohnt – auch zeitökonomisch gesehen. Denn nicht nur nimmt die Untersuchung selbst nur wenige Minuten in Anspruch (die Aufnahmezeit für eine einzelne Messung beträgt übrigens gerade einmal 0,04 sec), was auch den eher „zappeligen“, kleinen Patienten zu Gute kommt, und lassen sich schon während der Vermessung bestimmte Therapieerfolge simulativ vorwegnehmen, nahezu zeitgleich erfolgen Analyse und Auswertung der Befunde, was bei kaum einer anderen Untersuchungsmethode der Fall ist. Nicht zu vergessen die Exaktheit und Unschädlichkeit der Methode. Auch ist angesichts der kausalen Behandlungsstrategie mit sehr raschen und dauerhaften Therapieerfolgen zu rechnen.

Herr Dr. Pieczykolan, vielen Dank für Ihre Ausführungen!

von Manon Leistner

Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 3 | 2000
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.