Search
0
Anzeige
Rücken

Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen

Close up of attractive slim young woman lying on the backs and stretching it with roller.

Fortschritte in der modernen operativen Behandlung degenerativer Wirbelsäulenerkrankungen

Was ist eine degenerative Wirbelsäulenerkrankung?

Ein Wirbelsegment ist ein Gelenk, bestehend aus 2 Wirbelkörper, die vorne mit einer Bandscheibe und hinten über zwei kleine Wirbelgelenke verbunden sind. Mitten drinnen befindet sich der Wirbelkanal und die 2 Nervaustrittskanäle, die innen mit einer dünnen einschichtigen Zellschicht ausgegleitet sind. Diese Schicht hat die Aufgabe, wie die Teflonbeschichtung einer Pfanne Verklebungen und Verwachsungen zu vermeiden und das Gleiten der Nervstrukturen, der Gefäße und des Füllfettes bei der Bewegung der Wirbelsäule zu ermöglichen. Die Bandscheibe ist ähnlich aufgebaut wie ein Autoreifen und besteht aus vielen Laminatschichten. Im Gegensatz zu Autoreifen gibt es allerdings sehr viele Schichten. Die innere Kammer ist im Gegensatz zu Autoreifen nicht mit Luft, sondern mit gallertartiger Substanz gefüllt und ist sehr klein. Das Bandscheibengewebe ist ein sich langsam ernährendes Knorpelgewebe.


Da in der Bandscheibe ein sehr hoher Druck herrscht, gibt es keine Gefäßversorgung, denn die Gefäße wären plattgedrückt. So gibt es folglich in der Bandscheibe kein Blut, aber auch keine Nerven. Trotzdem ist das Bandscheibengewebe lebendige Materie, die versorgt werden muß. Die Versorgung kann nur über einen Flüssigkeitsaustausch – sogenannte Diffusion – aus den benachbarten Wirbelkörpern erfolgen.


In aufrechter Haltung tritt die ernährende Flüssigkeit in das Bandscheibengewebe über feine Kanäle ein und in entspannter Lage, d. h. im Liegen in umgekehrter Weise mit den Abbaustoffen aus. Diese Flüssigkeitsverschiebungen ähneln dem Pulsieren des Blutes im Gewebe, nur mit einem anderen Zeitintervall. Vermutlich beginnt die degenerative Wirbelsäulenerkrankung mit dem Absterben des Bandscheibengewebes als Folge dieser Ernährungsstörung. Das abgestorbene Bandscheibengewebe verflüssigt sich und verhält sich wie ein Wasserkissen. Es leitet den Druck in alle Richtungen weiter, auch an das benachbarte gesunde Gewebe. Dieses wird infolgedessen wiederum unterversorgt und weiter geschädigt. So setzt sich die Schädigung fort bis an den äußeren Faserring: dieser ist aber bereits mit Gefäßen und Nervfasern versorgt. Hier resorbiert sich das abgestorbene Gewebe; das Bandscheibenfach beginnt zusammenzusinken. Auch kann der Faserring kann reißen, dann kommt es zum Austritt des Bandscheibengewebes in die Umgebung und es kann auf das benachbarte Nervengewebe drücken. In jedem Fall verliert das Bandscheibenfach an Höhe.
Eine gesunde Bandscheibe drückt die Wirbelkörper auseinander, diesem Druck wirken die Bänder, die die Wirbelkörper dagegen arretieren, entgegen. Sinkt das Bandscheibenfach zusammen, werden die Bänder schlaff – die davor bestehende stabile Verbindung der beiden Wirbelkörper ist damit aufgehoben. So kommt es zu Querbewegungen und dadurch zu falscher Belastung der Wirbelgelenke. Die Folge ist eine Arthrose dieser Wirbelgelenke mit entzündlichen Reaktionen und Verkalkungen, welche ihrerseits wiederum Verengungen des Wirbelkanals verursachen. Durch den Höhenverlust des Bandscheibenfaches kommt es dann zur Einengung der Nervaustrittskanäle. Der degenerative Prozeß kann mehrere Etagen gleichzeitig und in unterschiedlichem Maße befallen.

Im Vergleich zu der normalen Wirbelsäule erkennt man in Bild Nr. 2 eine solche Mehretagendegeneration in unterschiedlichen Phasen, wobei nicht alle Veränderungen auch Beschwerden bereiten. Meistens ist nur eine kleine Detailveränderung in der Vielfalt der zu erkennenden Gewebsveränderungen alleine für die eigentlichen Beschwerden verantwortlich. So ist der erste Schritt einer modernen operativen Wirbelsäulen-Therapie diese Detaildiagnostik. Sie besteht aus sorgfältiger Befragung des Patienten nach Beschwerden und deren Verlauf, neurologischer/ orthopädischer körperlicher Untersuchung, detaillierter bildgebender Diagnostik (NMR, CT, funktionelle röntgenologische Untersuchungen …) und elektrischen Nerv- und Muskelmessungen. Das Resultat ist die Zuordnung der geweblichen Veränderungen zu dem Beschwerdebild. Im nächsten Schritt wird der Leidensdruck des Patienten erforscht: welche Beschwerden kann er nicht akzeptieren, welche möchte er nur gelindert haben, mit welchen kann er leben. Aus alldem erfolgt dann die therapeutische Empfehlung bzw. die Entscheidung des Arztes über die weiteren Maßnahmen.

Dabei muß prinzipiell folgendes beachtet werden:

  • konservative Maßnahmen wie z.B. Krankengymnastik, Massage, physikalische Therapie usw. sind reine lindernde Maßnahmen. Sie verändern die festgestellte Gewebsveränderung nicht und stoppen auch nicht den degenerativen Prozeß. Sie beheben also nicht die Ursache der Beschwerden, helfen aber dem Patienten durch Linderung auf die Selbstheilung zu warten.
    Wie oben beschrieben, hat der Körper eine Selbstheilungstendenz. Diese ist aber nicht unbegrenzt und kann an einer angeborenen ungünstigen “Bauweise” der Wirbelsäule wie z.B. einem angeboren engen Wirbelkanal scheitern. Das heißt, daß im Verlauf einer degenerativen Erkrankung Beschwerden auftreten, welche die Lebensqualität des Patienten chronisch beeinträchtigen und nur durch die Veränderung dieser Bauweise (Operation) zu beheben sind.
  • Gewisse minimalinvasive Therapien wie z.B. epidurale Installationen von Heilmitteln in den Wirbelkanal oder Ausschaltung von Nervendigungen am Faserring mittels Wärmesonde lindern die Beschwerden, beheben aber nicht die Ursache.
  • Die operative Maßnahme verändert die krankhafte Gewebesstruktur, wirkt also ursächlich auf die Beschwerden.

Wir unterscheiden bezüglich der Zielsetzung in der Wirbelsäulenchirurgie grundsätzlich zwischen druckentlastenden und stabilisierenden Eingriffen. Der Nachteil eines jeden operativen Eingriffes ist die Gewebesverletzung, die durch den operativen Zugang geschieht, und deren Folgen wie z.B. Vernarbungen der Nervstrukturen im Wirbelkanal, Verschlechterung der Stabilität und mögliche Infektionsgefahr.

Das Hauptziel der modernen Wirbelsäulenchirurgie ist daher, den operativen Zugang so klein wie möglich zu halten. Das Einführen des Mikroskops hat den ersten wesentlichen Schritt in diese Richtung getan und sollte heute der Standard jeglicher druckentlastender Wirbelsäulenchirurgie sein. Der Zugangsschaden wird durch die Mikrochirurgie deutlich verkleinert, aber nicht verhindert. Erst das Einführen des Endoskops in die druckentlastende Wirbelsäulenchirurgie brachte eine qualitative Verbesserung, indem es die innere Ausgleitung des Wirbelkanals schont, allerdings mit einem gegenüber der Mikrochirurgie deutlich eingeschränkten Aktionsradius.

Wir haben in unserer Klinik die Vorteile der Mikrochirurgie mit den Vorteilen der Endoskopie verbunden und können mit unserer Technik eine Druckentlastung z.B. Entfernung eines Bandscheibenvorfalles durchführen, ohne dabei Narben im Wirbelkanal zu erzeugen. Wir verwenden die mikrochirurgische Technik bis an die Wirbelsäule. Die innere Ausgleitung des Wirbelkanals, die die Narbenbildung verhindert, wird aber nicht entfernt. In den Wirbelkanal treten wir durch eine bestehende knöcherne Öffnung, die mit einem Ligament (Band) verschlossen ist. Dieses wird nur gespalten; die Ränder werden dabei zur Seite genäht und nicht entfernt wie bei der klassischen Mikrochirurgie. Danach setzen wir den Eingriff teils unter mikroskopischer Sicht, teils endoskopisch fort und verschließen den Spinalkanal nach erfolgtem Eingriff wieder wasserdicht, indem wir das gespaltene Ligament wieder vernähen. Man spricht hier von einer sogenannten Flavumplastik. So kann das Blut nicht in den Wirbelkanal eintreten und die Nervstrukturen mit der Umgebung verkleben – es entsteht keine Narbenbildung. Es ist sogar möglich, irgendwann einmal einen Zweiteingriff auf die selbe Art und Weise durchzuführen.

Die stabilisierenden Eingriffe sind Operationen, die nach Wiederherstellung der ursprünglichen Lage der Wirbel und Bandscheibenfächer die Stabilität des erkrankten Segmentes gewährleisten. Der durch den Zugang bedingte Gewebsschaden ist für diese Eingriffe leider unter den konventionellen Bedingungen sehr groß. Dies ist der Nachteil dieser Lösung, die ansonsten beinahe ideal ist, beseitigt sie doch die Beschwerden eines degenerativ erkrankten Segmentes für immer. Wir haben in unserer Klinik diesen oben geschilderten Nachteil durch modernste Navigations-Technologie und mikrochirurgische Verfahren wesentlich verringern können.
So sind wir in der Lage, die vordere Wirbelkörperabstützung über einen nur ca. 3 cm großen Hautschnitt rein vom Rücken her mikrochirurgisch herbeizuführen, ohne dabei Vernarbungen im Spinalkanal zu erzeugen. Insbesondere können wir so auch das Bandscheibenfach auf die normale Weite aufspreizen und die knöcherne Einengung der Nervaustrittskanäle beseitigen. Die Pedikelschrauben und deren Verbindung setzen wir mittels Computernavigation direkt durch die Haut in die Wirbelkörper ein, ohne dabei die Muskulatur von der Wirbelsäule langstreckig und weit zur Seite freipräparieren zu müssen, wie es bei der konventionellen Technik der Fall ist. So kann auch die Wiederherstellung der Wirbellage außerhalb der Haut erfolgen. Nicht nur der operative Zugangsschaden, sondern auch damit verbundene Risiken werden dadurch minimiert.

Die moderne Wirbelsäulenchirurgie sollte im Idealfall über alle invasiven Techniken verfügen, von perkutanen Techniken bis hin zu stabilisierenden Maßnahmen. Narbenbildung und große operativen Zugangsschäden sollten in jedem Fall weitgehend vermieden werden. So kann die Dauer des stationären Aufenthaltes aus medizinischer Sicht wesentlich verkürzt werden und der Patient kann erheblich schneller wieder am normalen Leben teilhaben. Welche Operationsmethode es anzuwenden gilt, wird anhand exakter präoperativer Diagnostik entschieden. Immer gilt jedoch der Grundsatz, daß die für den Patienten schonendste Operationsmethode zu wählen ist.

Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 1 | 2000
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.