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Rücken

Operieren, aber wie?

Doktoren während einer Operation

Fortschritte in der modernen operativen Behandlung degenerativer Wirbelsäulenerkrankungen

Was ist eine degenerative Wirbelsäulenerkrankung?

Ein Wirbelsegment ist ein Gelenk, bestehend aus zwei Wirbelkörpern, die vorne mit einer Bandscheibe und hinten über zwei kleine Wirbelgelenke verbunden sind. Mitten darin befinden sich der Wirbelkanal und die zwei Nervenaustrittskanäle, die innen mit einer dünnen einschichtigen Zellschicht ausgegleitet sind. Diese Schicht hat die Aufgabe, wie die Teflonbeschichtung einer Pfanne Verklebungen und Verwachsungen zu vermeiden und das Gleiten der Nervenstrukturen, der Gefäße und des Füllfettes bei der Bewegung der Wirbelsäule zu ermöglichen. Die Bandscheibe ist ähnlich aufgebaut wie ein Autoreifen und besteht aus vielen Laminatschichten. Im Gegensatz zu Autoreifen gibt es allerdings sehr viele Schichten. Die innere Kammer ist nicht wie ein Autoreifen mit Luft, sondern mit gallertartiger Substanz gefüllt und ist sehr klein. Das Bandscheibengewebe ist ein sich langsam ernährendes Knorpelgewebe.
Da in der Bandscheibe ein sehr hoher Druck herrscht, gibt es keine Gefäßversorgung, denn die Gefäße wären plattgedrückt. So gibt es folglich in der Bandscheibe kein Blut, aber auch keine Nerven. Trotzdem ist das Bandscheibengewebe lebendige Materie, die versorgt werden muss. Die Versorgung kann nur über einen Flüssigkeitsaustausch – so genannte Diffusion – aus den benachbarten Wirbelkörpern erfolgen. In aufrechter Haltung tritt die ernährende Flüssigkeit in das Bandscheibengewebe über feine Kanäle ein und in entspannter Lage, d.h. im Liegen, in umgekehrter Weise mit den Abbaustoffen aus. Diese Flüssigkeitsverschiebungen ähneln dem Pulsieren des Blutes im Gewebe, nur mit einem anderen Zeitintervall. Vermutlich beginnt die degenerative Wirbelsäulenerkrankung mit dem Absterben des Bandscheibengewebes als Folge dieser Ernährungsstörung. Das abgestorbene Bandscheibengewebe verflüssigt sich und verhält sich wie ein Wasserkissen. Es leitet den Druck in alle Richtungen weiter, auch an das benachbarte gesunde Gewebe. Dieses wird infolgedessen wiederum unterversorgt und weiter geschädigt. So setzt sich die Schädigung fort bis an den äußeren Faserring: Dieser ist aber bereits mit Gefäßen und Nervenfasern versorgt. Hier resorbiert sich das abgestorbene Gewebe; das Bandscheibenfach beginnt zusammenzusinken. Auch kann der Faserring reißen, dann kommt es zum Austritt des Bandscheibengewebes in die Umgebung, und es kann auf das benachbarte Nervengewebe drücken. In jedem Fall verliert das Bandscheibenfach an Höhe.
Eine gesunde Bandscheibe drückt die Wirbelkörper auseinander, diesem Druck wirken die Bänder, die die Wirbelkörper dagegen arretieren, entgegen. Sinkt das Bandscheibenfach zusammen, werden die Bänder schlaff – die davor bestehende stabile Verbindung der beiden Wirbelkörper ist damit aufgehoben. So kommt es zu Querbewegungen und dadurch zu falscher Belastung der Wirbelgelenke. Die Folge ist eine Arthrose dieser Wirbelgelenke mit entzündlichen Reaktionen und Verkalkungen, welche ihrerseits wiederum Verengungen des Wirbel­kanals verursachen. Durch den Höhenverlust des Bandscheibenfaches kommt es dann zur Einengung der Nervenaustrittskanäle. Der degenerative Prozess kann mehrere Etagen gleichzeitig und in unterschiedlichem Maße befallen.

Nicht alle Veränderungen der Wirbelsäule müssen auch Beschwerden bereiten. Meistens ist nur eine kleine Detailveränderung in der Vielfalt der zu erkennenden Gewebsveränderungen alleine für die eigentlichen Beschwerden verantwortlich. So ist der erste Schritt einer modernen operativen Wirbelsäulentherapie diese Detaildiagnostik. Sie besteht aus sorgfältiger Befragung des Patienten nach Beschwerden und deren Verlauf, neurologischer/orthopädischer körperlicher Untersuchung, detaillierter bildgebender Diagnostik (NMR, CT, funktionelle röntgenologische Untersuchungen etc.) und elektrischen Nerv- und Muskelmessungen. Das Resultat ist die Zuordnung der geweblichen Veränderungen zu dem Beschwerdebild. Im nächsten Schritt wird der Leidensdruck des Patienten erforscht: Welche Beschwerden kann er nicht akzeptieren, welche möchte er nur gelindert haben, mit welchen kann er leben? Aus all dem erfolgt dann die therapeutische Empfehlung bzw. die Entscheidung des Arztes über die weiteren Maßnahmen.
Dabei muss prinzipiell Folgendes beachtet werden: Konservative Maßnahmen, wie z.B. Krankengymnastik, Massage, physikalische Therapie usw., sind rein lindernde Maßnahmen. Sie verändern die festgestellte Gewebsveränderung nicht und stoppen auch nicht den degenerativen Prozess. Sie beheben also nicht die Ursache der Beschwerden, helfen aber dem Patienten durch Linderung auf die Selbstheilung zu warten.
Wie oben beschrieben, hat der Körper eine Selbstheilungstendenz. Diese ist aber nicht unbegrenzt und kann an einer angeborenen ungünstigen „Bauweise“ der Wirbelsäule, wie z.B. einem angeborenen engen Wirbelkanal, scheitern. Das heißt, dass im Verlauf einer degenerativen Erkrankung Beschwerden auftreten, welche die Lebensqualität des Patienten chronisch beeinträchtigen und nur durch die Veränderung dieser Bauweise (Operation) zu beheben sind.

Therapien, wie z.B. die Ausschaltung von Nervendigungen am Faserring, lindern zwar die Beschwerden, beheben aber nicht die Ursache.
Die operative Maßnahme verändert die krankhafte Gewebsstruktur, wirkt also ursächlich auf die Beschwerden.
Grundsätzlich wird bezüglich der Zielsetzung in der Wirbelsäulenchirurgie zwischen druckentlastenden und stabilisierenden Eingriffen unterschieden. Der Nachteil eines jeden operativen Eingriffs ist die Gewebsverletzung, die durch den operativen Zugang geschieht, und deren Folgen, wie z.B. Vernarbungen der Nervenstrukturen im Wirbelkanal, Verschlechterung der Stabilität und mögliche Infektionsgefahr.

Das Hauptziel der modernen Wirbelsäulenchirurgie ist daher, den operativen Zugang so klein wie möglich zu halten. Das Einführen des Mikroskops hat den ersten wesentlichen Schritt in diese Richtung getan und sollte heute der Standard jeglicher druckentlastender Wirbelsäulenchir­urgie sein. Der Zugangsschaden wird durch die Mikrochirurgie deutlich verkleinert, aber nicht verhindert. Erst das Einführen des Endoskops in die druckentlastende Wirbelsäulenchirurgie brachte eine qualitative Verbesserung, indem es die innere Ausgleitung des Wirbelkanals schont, allerdings mit einem gegen­über der Mikrochirurgie deutlich eingeschränkten Aktionsradius.

Der Vorteil der Kombination von Mikrochirurgie und Endoskopie ist, dass mit dieser Technik eine Druckentlastung, z.B. Entfernung eines Bandscheibenvorfalles, durchgeführt werden kann, ohne dabei Narben im Wirbelkanal zu erzeugen. Die mikrochirurgische Technik kann bis an die Wirbelsäule heran angewendet werden. Die innere Ausgleitung des Wirbelkanals, die die Narbenbildung verhindert, wird aber nicht entfernt. In den Wirbelkanal wird durch eine bestehende knöcherne Öffnung, die mit einem Ligament (Band) verschlossen ist, eingedrungen. Dieses wird nur gespalten; die Ränder werden dabei zur Seite genäht und nicht entfernt wie bei der klassischen Mikrochirurgie. Danach wird der Eingriff teils unter mikroskopischer Sicht, teils endoskopisch fortgesetzt und der Spinalkanal nach erfolgtem Eingriff wieder wasserdicht verschlossen, indem das gespaltene Ligament wieder vernäht wird. Man spricht hier von einer so genannten Flavumplastik. So kann das Blut nicht in den Wirbelkanal eintreten und die Nervenstrukturen mit der Umgebung verkleben – es entsteht keine Narbenbildung. Es ist sogar möglich, irgendwann einmal einen Zweiteingriff auf dieselbe Art und Weise durchzuführen.

Die stabilisierenden Eingriffe sind Operationen, die nach Wiederherstellung der ursprünglichen Lage der Wirbel und Bandscheibenfächer die Stabilität des erkrankten Segmentes gewährleisten. Der durch den Zugang bedingte Gewebsschaden ist für diese Eingriffe leider unter den konventionellen Bedingungen sehr groß. Dies ist der Nachteil dieser Lösung, die ansonsten beinahe ideal ist, beseitigt sie doch die Beschwerden eines degenerativ erkrankten Segmentes für immer. Diese oben geschilderten Nachteile können durch modernste Navigations-Technologie und mikrochirurgische Verfahren wesentlich verringert werden.
So kann die vordere Wirbelkörperabstützung über einen nur ca. 3 cm großen Hautschnitt rein vom Rücken her mikrochirurgisch herbeigeführt werden, ohne dabei Vernarbungen im Spinalkanal zu erzeugen. Außerdem kann das Bandscheibenfach auf die normale Weite aufgespreizt und so die knöcherne Einengung der Nervenaustrittskanäle beseitigt werden. Die Pedikelschrauben und deren Verbindung werden mittels Computernavigation direkt durch die Haut in die Wirbelkörper eingesetzt, ohne dabei die Muskulatur von der Wirbelsäule langstreckig und weit zur Seite freipräparieren zu müssen, wie es bei der konventionellen Technik der Fall ist. So kann auch die Wiederherstellung der Wirbellage außerhalb der Haut erfolgen. Nicht nur der operative Zugangsschaden, sondern auch damit verbundene Risiken werden dadurch minimiert.

Die moderne Wirbelsäulenchirurgie sollte im Idealfall über alle invasiven Techniken verfügen, von perkutanen Techniken bis hin zu stabilisierenden Maßnahmen. Narbenbildung und große operative Zugangsschäden sollten in jedem Fall weitgehend vermieden werden. So kann die Dauer des stationären Aufenthaltes aus medizinischer Sicht wesentlich verkürzt werden und der Patient kann erheblich schneller wieder am normalen Leben teilhaben. Welche Operationsmethode es anzuwenden gilt, wird an Hand exakter präoperativer Diagnostik entschieden. Immer gilt jedoch der Grundsatz, dass die für den Patienten schonendste Operationsmethode zu wählen ist.

aus OrthoPress 1 | 2000
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