Neurophysiologische Behandlung nach Prof. Dr. Vaclav Vojta
Immer wieder ist von den zahlreichen degenerativen Veränderungen des Bewegungsapparates in unserer Zeit die Rede, vom Dilemma des aufrechten Gangs, dem Fluch der bewegungsarmen Bürosessel-Gesellschaft. Und die orthopädische Wissenschaft scheint mit all ihren Maßnahmen einen andauernden „Kreuz-Zug“ gegen diese zivilisationsbedingten Erkrankungen zu führen. Ganz aus dem Gesichtsfeld geraten dabei die vielfältigen Krankheitsformen, mit denen sich Orthopäden und Physiotherapeuten „von Kindesbeinen an“ auseinander setzen müssen. Schädigungen am Bewegungsapparat nämlich sind keineswegs ausschließlich altersbedingte Erscheinungen, d.h. bloße Folge einer Last, an der wir mit den Jahren immer schwerer tragen. Sie können bereits im Säuglingsalter auftreten – und sind dann natürlich auch für den reifenden und erwachsenen Patienten von Bedeutung. Darüber hinaus ist die frühe Entwicklung der Körperbewegung als solche maßgeblich im gesamten Leben eines Menschen.
Zu den Erkrankungen, von denen schon die Kleinsten betroffen sind, zählen alle möglichen Formen der Fehlbildung oder Fehlstellung, Haltungsfehler, Bewegungs- sowie Muskelspannungsstörungen. Für diese nun steht eine spezielle Therapie zur Verfügung, die sich eigens an den frühkindlichen Bewegungsstrukturen ausrichtet, dabei aber keineswegs in den Kinderschuhen steckt: Der tschechische Neurologe und Kinderarzt Prof. Dr. Vaclav Vojta hat bereits in den 50er-Jahren das sog. „Vojtaprinzip“, ein komplexes System für Befunderhebung und Therapie, erarbeitet und zusammen mit seinen Mitarbeitern, Ärzten und Physiotherapeuten, weiterentwickelt. Grundlage dieses Behandlungskonzeptes ist die Beobachtung der Bewegungsabläufe in der motorischen Entwicklung im ersten Lebensjahr des Kindes. Denn: „Jedem Menschen sind diese Bewegungsabläufe, also alle Haltungs- und Bewegungsmuster, angeboren“, erläutert die Physiotherapeutin Doris Iro das Prinzip. „Sie können deshalb auch bei jedem Menschen, egal, wie alt er ist, durch Reize in festgelegten Zonen hervorgerufen werden“, fährt die Stuttgarter Physiotherapeutin fort. Unter dem Reiz bewege sich der Mensch unbewusst vom Krafteinsatz und Zusammenspiel der Muskeln her auf eine richtige, natürliche Art.
Bei der Behandlung werden zunächst verschiedene Ausgangsstellungen unterschieden, also z.B. Rücken-, Bauch- oder Seitlage mit ihren Variationsmöglichkeiten, die vom Therapeuten je nach Zielsetzung der Behandlung ausgesucht werden. Alle Übungen enthalten die für eine jede Fortbewegung unentbehrlichen Bestandteile wie Aufrichtung gegen die Schwerkraft, zielgerichtete Bewegung, dynamische Anpassung der Körperhaltung an die jeweilige Situation. Als Reaktion auf die ausgeübten Reize kommt es neben einer gesunden, normalen Einstellung der Wirbelsäule und der Gelenke zu einer an die Situation angepassten Muskelarbeit, einer Vertiefung der Atmung sowie zur Anregung beziehungsweise Stabilisierung des Kreislaufes und der Verdauung.
Kleine Ursache – große Wirkung. Zur Illustration der Wirkungsweise der Vojta-Behandlung und ihrer Bandbreite nennt Doris Iro einige Patienten-Beispiele aus ihrer Stuttgarter Praxis:
Die Vojta-Therapie ist insgesamt vielseitig einsetzbar: in der Kinderheilkunde, z.B. bei Entwicklungsverzögerungen, angeborenen oder erworbenen Schädigungen des Gehirns oder Rückenmarks mit unterschiedlichen Bewegungsstörungen, Störungen der Muskelspannung; in der Orthopädie, z.B. bei Fußfehlbildungen (Sichel- oder Klumpfüße), Hüftgelenksfehlstellungen, Haltungsfehlern (Schiefhals, Skoliose), und auch in der Neurologie, z.B. bei Schlaganfall, zentralen oder peripheren Lähmungen, Multipler Sklerose, Lähmungen der Gesichtsmuskulatur, Gangstörungen, etc.
Um Verbesserungen zu erreichen, sollte die Behandlung zwei- bis viermal täglich durchgeführt werden. „Deswegen“, betont die Physiotherapeutin Doris Iro, „ist die Mitarbeit der Eltern oder Partner wichtig“. Der Therapeut leitet sie an und legt anhand des Befundes und der Möglichkeiten des Patienten die Frequenz und die Übungsabfolge fest. – Früh übt sich, wer gesund sein will …
aus OrthoPress 1 | 2000
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