Überall dort, wo Nerven durch Körperengen hindurchmüssen, kann es zu Beeinträchtigungen kommen. Reicht der Platz einmal nicht mehr aus, so sind häufig nicht nur Schmerzen die Folge: Auch die von den Nerven versorgten Muskeln können durch die gestörte Reizleitung ihre Funktion nicht mehr richtig ausüben.
Schmerzen in den Armen und Beinen können aufgrund von Kompressionen der Rückenmarksnerven im Bereich der Wirbelsäule z.B. durch einen Bandscheibenvorfall oder einen Tumor auftreten. „Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass Kompressionen, das heißt Druckschädigungen oder sonstige Störungen der so genannten peripheren Nerven, die Ursache für solche Schmerzsyndrome sind“, erläutert Dr. Kamran Minaian von der Gemeinschaftspraxis für Neurochirurgie in der Kölner Klinik am Ring. „Periphere Nerven stellen die Fortsetzung der Rückenmarksnerven im Bereich der Extremitäten, das heißt Armen und Beinen dar. Diese Nerven können in ihrem Verlauf über Gelenke, durch bestimmte Strukturen oder in anatomisch vorhandenen Kanälen gedrückt werden oder sonstige Schädigungen erleiden.“
Das wohl bekannteste Schmerzsyndrom der peripheren Nerven ist das so genannte „Karpaltunnel-Syndrom“. Bei dieser Erkrankung wird der so genannte Median-Nerv im Bereich des Handgelenkes, wo er in einem knöchernen Kanal mit einigen Sehnen zusammen verläuft und von einem Querband überdeckt wird, komprimiert. Dies passiert sehr oft bei einer fortgesetzten Überbelastung der Handgelenke, z.B. bei Kassiererinnen im Supermarkt. Es tritt aber auch bei bestimmten hormonellen Störungen, im Rahmen einer Schwangerschaft oder bei Entzündungen im Handgelenkbereich auf. Dr. Minaian: „Die Patienten leiden sehr oft beidseitig an dieser Erkrankung und werden teilweise nachts von den Schmerzen und Missempfindungen im Bereich des Handballens, des Daumens und des Zeigefingers wach.“ Nach einer klinischen Untersuchung und einer Messung der Nervenleitgeschwindigkeiten besteht die operative Therapie bei gegebener Indikation in einer Spaltung des Querbandes zur Entlastung des Nervs. Dieser Eingriff wird in der Regel in örtlicher Betäubung durchgeführt und hat eine sehr gute Erfolgschance.
Auch am Ellenbogen kann eine Nervenkompression auftreten
Eine andere Erkrankung der so genannten peripheren Nerven ist das „Ulnarisrinnen-Syndrom“. Hier wird der Ellennerv im Bereich des Ellenbogens, der ebenfalls in einer knöchernen Rinne verläuft und von einem Querband überdeckt wird, von diesem bedrängt. Zusätzlich besteht bei zu flacher Ulnarisrinne das Risiko, dass der Nerv bei Armbeugung über einen Knochenvorsprung des Ellenbogens verrutscht und somit bei Beuge- und Streckbewegung des Armes dadurch ständig irritiert wird. „Im Laufe der Zeit kann diese Irritation zu einer chronischen Schädigung des Nerven führen“, sagt Dr. Minaians Kollege Dr. Ringo Möder: „Diese geht mit Missempfindungen sowie einer Taubheit im Bereich des Kleinfingers und der Hälfte des Ringfingers einher. Die Operation besteht hier in einer Entlastung des Nervs und sehr oft auch einer Verlagerung desselben nach vorne, damit er nicht mehr der ständigen Irritation im Bereich der knöchernen Rinne ausgesetzt ist.“
Nicht alle Störungen der peripheren Nerven sind offensichtlich
Neben den oben genannten, eher häufigen Störungen der peripheren Nerven gibt es auch eher seltenere Erkrankungen bestimmter peripherer Nerven, die für die Patienten sehr lästig sind und leider sehr oft verkannt werden. Diese Patienten leiden in der Regel lange Zeit unter einer solche Erkrankung, bis sie erkannt und hoffentlich auch adäquat behandelt wird.
Eine dieser Erkrankungen ist die so genannte „Meralgia parästhetica“. Diese Erkrankung ist durch brennende oder stechende Missempfindungen im Bereich der Oberschenkelvorder- und -außenseite charakterisiert. Hinzu kommt eine Gefühllosigkeit in diesem Bereich. Die Missempfindungen sind teilweise so stark, dass die Patienten schon das Gefühl einer Hose auf der Haut nicht mehr aushalten und keine längere Strecken gehen können. Im fortgeschrittenen Stadium treten die Beeinträchtigungen auch in Ruhe auf, so dass die Patienten in ihrem Alltag deutlich behindert sind.
Sigmund Freud litt unbemerkt an Nervenkompression
Einer der prominentesten Patienten mit dieser Erkrankung war Sigmund Freud, der Ende des 19. Jahrhunderts nach der erstmaligen Veröffentlichung der Erkrankung die Symptome bei sich entdeckte und herausfand, dass er bereits seit sechs Jahren darunter gelitten hatte. Die Ursache der Erkrankung liegt in einer Engstelle im äußeren Leistenbereich neben dem Beckenkamm, wo ein kleiner Nerv bei seinem Austritt aus dem Becken unter dem Leistenband eingequetscht wird. Auch hier kann durch eine Entlastung des Nerven im Bereich des Leistenbandes Abhilfe geschaffen werden.
Eine andere seltene Erkrankung der peripheren Nerven ist die so genannte „Morton-Neuralgie“. Dabei kommt es zu starken Schmerzen im Bereich der Sohle im Vorfußbereich. Die Beschwerden treten hauptsächlich nach langem Stehen oder Gehen auf und nehmen im Laufe der Zeit so an Intensität zu, dass die Patienten kein normales Schuhwerk mehr tragen können und in ihrer Bewegungsfreiheit sehr eingeschränkt sind. Von dieser Erkrankung sind zu 85 Prozent Frauen mittleren Alters betroffen. Die Beschwerden treten nicht selten beidseitig auf. Ursache der Erkrankung sind hier kleine Nerven, die den Vorfuß versorgen und zwischen den Mittelfußknochen in einem engen Bereich durch ständige Belastung gedrückt und irritiert werden, so dass sich innerhalb der Nerven starkes Narbengewebe bildet und der Nervenumfang kontinuierlich zunimmt. Die Behandlung dieser Erkrankung, so Dr. Möder, bestehe in einer sorgfältigen Darstellung des Nerven und der Entfernung des Nervenknotens, der die direkte Ursache für die Schmerzen ist. Patienten haben so nach sorgfältiger Operation durch einen qualifizierten Arzt sehr gute Heilungschancen.
Auch Tumoren können zu Nervenschädigung führen
Auch periphere Nerven können wie jedes Gewebe im menschlichen Körper Tumoren entwickeln, die aber in der Regel gutartig sind. Diese Tumoren können z.B. im Bereich des Nervengeflechtes in der Hals/Schulterregion oder auch in Armen oder Beinen auftreten. Sie haben eine langsame Wachstumstendenz und führen im Laufe der Zeit zu verschiedenen Störungen wie Schmerzen, Missempfindungen, Taubheit oder sogar Lähmungen in den vom Nerven versorgten Muskeln. Aber selbst diesen Patienten kann heute geholfen werden, ohne dass sie Ausfälle der Nervenfunktion in Kauf nehmen müssten.
„Fast alle Patienten, die unter einem Nervenkompressionssyndrom leiden, können so heute auf Linderung ihres Leidens hoffen“, resümiert Dr. Minaian. „Die meisten Eingriffe können dabei heute dergestalt vorgenommen werden, dass kaum Beeinträchtigungen durch Narben oder sonstige kosmetische Veränderungen auftreten. Wichtig ist aber in jedem Fall, dass dabei schnell ein Facharzt aufgesucht wird, damit keine bleibenden Schäden entstehen.“
Aus ORTHOpress 1 | 2002
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