Mehr Sicht = Mehr Sicherheit
Rückenschmerzen sind heute in Deutschland der häufigste Grund für eine Arbeitsunfähigkeit. Knapp die Hälfte aller Anträge auf eine Berentung haben hierin ihren Ursprung – ein Viertel aller Arbeitnehmer sucht heute mindestens einmal im Jahr wegen Rückenschmerzen einen Arzt auf. Nicht bei allen ist zum Glück ein Bandscheibenvorfall Grund für die Beschwerden: Sie können durch konservative Behandlungen wieder schmerzfrei werden. Was aber, wenn es doch einmal zu einem Bandscheibenvorfall gekommen ist? Viele Patienten haben Angst vor einer Operation, weil sie befürchten, sie könne nicht erfolgreich sein. „Tatsächlich war früher die Erfolgsquote sehr viel geringer als heute“, weiß der Neurochirurg Drs. Patrick Simons von der Mediapark-Klinik in Köln. „Narbenbildung und zum Teil erhebliche Veränderungen der Statik führten früher bei den sogenannten ‚offenen’ Operationen nicht selten dazu, dass der Patient nach dem Eingriff größere Schmerzen hatte als vorher.“
Was passiert bei einer Bandscheibenoperation?
Um verstehen zu können, worin die Schwierigkeit einer Bandscheibenoperation besteht, ist es wichtig, zu verstehen, was bei einem Bandscheibenvorfall tatsächlich passiert. Drs. Simons: „Ein Bandscheibenvorfall tritt meist an der Lendenwirbelsäule auf. Dabei reißt der äußere Faserring der Bandscheibe und der Gallertkern quillt vor. Wenn er dabei auf Nervenwurzeln, welche aus dem Rückenmark austreten, drückt, verursacht dies heftige Schmerzen, die im schlimmsten Fall mit Lähmungserscheinungen einhergehen können. All diese Probleme treten besonders dann auf, wenn der Bandscheibenvorfall ungünstig liegt, und das Nervenaustrittsloch, wo der Nerv die Wirbelsäule verlässt, bedrängt. Solche Bandscheibenvorfälle kommen meist zwischen dem 30. und dem 45. Lebensjahr vor – in diesem Alter ist nämlich der Kern der Bandscheibe noch elastisch genug, um durch die Einrisse im Faserring nach außen zu treten.“
Das Ziel bei einer Bandscheibenoperation ist nun, dass der Operateur zum einen den vorgefallenen Teil des Gallertkerns beseitigen und so den Druck auf den Nerv verringern muss, zum anderen aber auch sicherstellen soll, dass es nicht nach der Operation später zu einem erneuten Bandscheibenvorfall kommt, weil noch vorhandene Reste des Gallertkerns austreten. „Für diese Operation ist es natürlich notwendig, einen entsprechenden Zugang zu schaffen“, erklärt Drs. Simons. „Bis vor wenigen Jahren hat man hierzu in einem großzügigen Eingriff große Teile des Wirbelbogens quasi ‚weggemeißelt’. Durch die entstandene Öffnung konnte dann die Bandscheibe unter Sicht ausgeräumt und die vorgefallenen Teile entfernt werden.“
Große Operation ist nicht gleich großer Erfolg
Leider ist dann die Traumatisierung durch den Eingriff sehr hoch. Je mehr Muskel bei dem Eingriff zur Seite geschoben werden muss, desto länger dauert die lokale Heilung. Da die Muskeln bei einem Patienten mit einem Bandscheibenvorfall ohnehin nicht sehr kräftig sind, ist nach einem großen Eingriff die Belastbarkeit zunächst verringert. Der Patient braucht längere (Bett-)Ruhe. Auch ist bei einer größeren Wundfläche der Bereich, der abheilen muss, größer. Damit erhöht sich die Gefahr einer überschließenden Narbenbildung, welche ihrerseits wieder zu erneuten Problemen führen kann.
Minimal-invasive Techniken auf dem Vormarsch
Der Trend heute geht daher zu immer kleineren Operationsöffnungen. Die aus der Knie-Orthopädie bekannten endoskopischen Operationen kommen mit einem sehr kleinen Zugang aus – im Gergensatz dazu lässt sich der Wirbelkanal jedoch nicht mit Wasser spülen wie das Kniegelenk bei einer Arthroskopie. Auch kann die Blutzufuhr hier nicht vorübergehend gestoppt werden. Die Sichtverhältnisse sind bei einem solchen Eingriff an der Wirbelsäule also deutlich eingeschränkt. Weiterhin kommt die Tatsache erschwerend hinzu, daß man auf den Monitoren nur zweidimensional sieht.
3D-Operationstechnik erlaubt bessere Sicht
Mit der 3D-Operationstechnik gibt es nun seit einiger Zeit die Möglichkeit, die Vorteile der verschiedenen Verfahren – offen bzw. endoskopisch – zu kombinieren, ohne deren Nachteile und Risiken in Kauf nehmen zu müssen. „Mittels eines speziellen Operationsmikroskops hat man hier die Möglichkeit, die Ausbreitung des Vorfalls auch in der Tiefe zu erfassen und somit Vorfall und Nerv sicherer voneinander zu unterscheiden. Mit dem Mikroskop lässt sich wie durch ein Schlüsselloch blicken: Geht man mit dem Auge nah heran, sieht man das ganze Zimmer hinter der Tür. Spezielle Instrumente ermöglichen ein Arbeiten in der Tiefe, ohne das Blickfeld zu beeinträchtigen. Das vorgefallene Gewebe wird lokalisiert und mit einem kleinen gebogenen Haken und winzigen Zangen entfernt. Falls das Loch im Faserring der Bandscheibe noch nicht spontan verheilt ist, wird der restliche Kern vorsichtig entfernt, damit die Gefahr eines erneuten Vorfalls reduziert wird. Der Faserring bleibt als Polster zwischen den Wirbeln zurück. Durch die Vergrößerung und das 3-dimensionale Sehen können auch die im Wirbelkanal vorhandenen Gefäße, die häufig stark vergrößert sind und zu Blutungen neigen, besser dargestellt und versorgt werden. So kommt es seltener zu Nachblutungen, und meistens kann sogar auf eine unangenehme Drainage (Redon) verzichtet werden. Neigt ein Patient zur Narbenbildung, so kann auf Wunsch am Ende der Operation ein Anti-Narben-Gel um den Nerv gebracht werden, so dass bis zum Abschluss der Heilung der Nerv quasi in ein Gleitlager eingepackt ist. Damit die größtmögliche Sicherheit für die Patienten gewährleistet ist, erfolgt während der Operation eine ständige EMG-Kontrolle, mit der die Funktion des gequetschten Nerven überwacht werden kann, obwohl der Patient schläft.
Halbambulanter Eingriff sorgt für schnelle Rehabilitation
Drs. Simons: „Bereits 5 Stunden nach dem Eingriff darf man das erste Mal wieder aufstehen. Auch Sitzen (Toilette) ist sofort erlaubt. Ein leichtes Mieder soll zur Unterstützung aber noch etwa 2-3 Wochen getragen werden.“
Die meisten Patienten können die Klinik sehr schnell wieder verlassen, einige am gleichen Abend oder am nächsten Morgen – ein nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber dem langwierigen Heilungsprozeß, den man noch vor wenigen Jahren mit einer Wirbelsäulenoperation verband. Am Anfang ist sicherlich noch Schonung angebracht, aber eine dosierte, stetig zunehmende Belastung vom ersten Tag an ist für den Aufbau der Stabilität und die Muskeln sinnvoller als strenge Bettruhe. „Ein Muskel, der nicht benutzt wird, wird schwächer! Maßgeblich bei der Mobilisierung ist der jeweilige Körper: Bei Beschwerden gilt es grundsätzlich, die Körperlage zu ändern. Denken Sie daran, wie schwer es ist, ein Gewicht mit ausgestrecktem Arm in einer Position zu halten. Man kann das gleiche Gewicht besser und länger tragen, wenn man den Arm hin und her bewegt. Dies liegt daran, daß die Last über mehrere Muskelfasern verteilt wird“, erläutert Drs. Simons. Zusätzlich sind durch die schnelle Mobilisierung auch Komplikationen wie Thrombose und Lungenentzündung viel seltener.
Wenn Operation, dann schonend!
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass glücklicherweise die wenigsten Patienten mit einem Bandscheibenvorfall operiert werden müssen. Ist jedoch eine OP nicht mehr zu vermeiden, z.B. weil andere Behandlungen nicht zum Erfolg geführt haben oder Lähmungen und Schmerzen die Lebensqualität entscheidend beeinträchtigen, dann sollte man abwägen, wie der Vorfall am schonendsten zu entfernen ist.
aus ORTHOpress 1 | 2002
Alle Beiträge dienen lediglich der Information und ersetzen keinesfalls die Inanspruchnahme eines Arztes*in. Falls nicht anders angegeben, spiegeln sie den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wider. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.