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Schulter

Wenn Schmerzen die Schulter „einfrieren“

Portrait of young father carrying his daughter on his back in nature

„frozen shoulder“ oder „Schultersteife“ näher betrachtet

Über große Erfolge mit neuen Therapiemethoden bei Erkrankungen insbesondere der Hüften und der Knie wurde und wird sehr viel berichtet. Anders sieht es da bei schmerzhaften Veränderungen in der Schulter aus. Sie galten noch bis vor wenigen Jahren als schlecht der Therapie zugänglich und mussten in der Regel von den Betroffenen mehr oder weniger tapfer ertragen werden. Die Neigung vieler Ärzte, sich mit diesen Erkrankungen intensiver auseinander zu setzen, war wohl eher gering. Dies zeigt sich auch darin, dass minimal invasive Operationsmethoden (Arthroskopien) bei der Schulter fast zwanzig Jahre nach den Kniearthroskopien Einzug in die Operationssäle hielten. 

Heute ist allerdings eine moderne Therapie der Schultererkrankungen ohne diese Methoden nicht mehr denkbar. Sie werden inzwischen in den führenden Schulterzentren erfolgreich für die Patienten eingesetzt. Wichtig sei es, für jeden Patienten ein individuelles Behandlungskonzept zu entwickeln, meint Dr. Michael Lehmann. Der international anerkannte Schulterspezialist und Sporttraumatologe an der Praxisklinik 2000 in Freiburg hat für die einzelnen Störungen am beweglichsten Gelenk des menschlichen Körpers auch unterschiedliche Therapien entwickelt. 

Von Anfang an beachtet werden muss der Ausgangspunkt der Veränderung. Gerade bei der Schulter liegen die Schmerzursachen oft nicht im eigentlichen Gelenk, sondern in den umliegenden Strukturen wie Bändern, Sehnen oder Muskeln. So kann eine bewegungsunfähige, sozusagen „eingefrorene“ Schulter unterschiedliche Ursachen haben, die es bei der Therapie zu berücksichtigen gilt. Grob lassen sie sich in drei Gruppen einteilen:

Arthrose als Grund für Schultersteife

Bei durch Verschleiß bedingter Einschränkung der Schulterbeweglichkeit liegt die Ursache in einer krankhaften Veränderung des Gelenkknorpels. Durch die Zerstörung der Gelenkflächen bei der Arthrose kommt es aufgrund der Schmerzhaftigkeit zu einer Bewegungseinschränkung und letztlich zu einer Versteifung. In diesen Fällen muss natürlich in erster Linie die Verschleißerkrankung behandelt werden, wenn den Patienten erfolgreich geholfen werden soll. Neben einer medikamentösen Therapie der Arthrose gewinnen die operative Behandlung der vorliegenden Knorpelschäden immer mehr an Bedeutung. Dies erfolgt heutzutage natürlich – in den auf Schultererkrankungen spezialisierten Zentren – ohne große Schnitte, sondern im Rahmen einer Gelenkspiegelung. Unter Umständen ist bei der Arthrose aber auch der Ersatz des ganzen Gelenkes oder einzelner Teile durch eine Endoprothese erforderlich. 

Schultersteife nach Verletzungen

Wird die Schulter aus anderen Gründen, z.B. nach Verletzungen oder Unfällen, eine Zeitlang stillgelegt und wenig oder gar nicht bewegt, schrumpfen die Gelenkkapsel sowie die Bänder und Sehnen um das Gelenk herum ziemlich schnell. Das bedeutet auch rasch einen Verlust an Beweglichkeit. Darum sollten Ruhigstellungen der Schulter – aus welchen Gründen auch immer – stets nur so kurz wie irgend möglich erfolgen. Therapeutisch wird in diesen Fällen neben einer vorwiegend medikamentösen Schmerzlinderung eine intensive krankengymnastische und physiotherapeutische Behandlung eingesetzt, um das Gelenk wieder zu mobilisieren.

Primäre Schultersteife

Den meisten Fällen von Schultersteife liegt jedoch eine eigenständige Erkrankung zu Grunde, die nach Dr. Lehmann eine echte Herausforderung auch für Schulterspezialisten darstellt. „In den allermeisten Fällen kann aber mit den heute zur Verfügung stehenden therapeutischen Möglichkeiten viel gegen die schmerzhafte Erkrankung getan werden, auch wenn der Verlauf immer noch recht langwierig ist und hohe Anforderungen an die Motivation und Mitarbeit der Patienten stellt.“ Ausgelöst wird diese Erkrankung durch eine ausgeprägte Entzündung der Gelenkkapsel. Dadurch kommt es zu Verklebungen und Verwachsungen, die dann die Bewegungseinschränkung verursachen. Besonders schwierig wird meist die Drehung in der Schulter nach außen hin. Warum sich aber nun die Gelenkkapsel so entzündet, weiß man bis heute noch nicht genau. Allerdings ist bekannt, dass vorwiegend Frauen zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr betroffen sind und dass die Erkrankung häufiger bei Diabetikern auftritt. 

Die Phasen der Erkrankung

Typisch für diese so genannte primäre Schultersteife ist der Verlauf in unterschiedlichen Stadien, die durch unterschiedliche Symptome gekennzeichnet sind. Meistens beginnt es mit plötzlichen, heftigen Schmerzen in der Schulter – besonders auch des Nachts und in Ruhe. Diese Schmerzen können sich bis ins Unerträgliche steigern. Eine Bewegungseinschränkung liegt aber noch nicht vor. Nach einigen Monaten lassen die Schmerzen dann ganz allmählich nach. Aber durch die Entzündung ist die Gelenkkapsel so geschrumpft, dass die Bewegungen jetzt stark eingeschränkt sind. Vielfach werden die beginnenden Behinderungen in diesem zweiten Stadium zunächst gar nicht bemerkt, da sie anfangs noch durch die anderen Gelenke des Schultergürtels ausgeglichen werden können. Aber der Prozess schreitet fort, und im dritten Stadium – wenn die Entzündung endlich „ausgebrannt“ ist – bestehen dann fast gar keine Schmerzen mehr, doch die Schulter lässt sich kaum noch bewegen. Eben „frozen shoulder“, wie das Krankheitsbild im Englischen heißt. 

Irgendwann dann – in der Regel nach einem Gesamtverlauf von etwa zwei bis drei Jahren – beginnt sich die Gelenkkapsel wieder aufzudehnen und die Erkrankung verschwindet von alleine. Am Ende ist die Schulter sogar wieder weitgehend normal beweglich. Aber derartig lang andauernde schmerzhafte Beeinträchtigungen der Lebensqualität werden von den Betroffenenheute nicht mehr einfach so hingenommen und sie muss es ja heutzutage auch nicht mehr geben.

Was lässt sich dagegen tun?

Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist immer die richtige Diagnose. „Auch heute im Zeitalter der Technik haben die ausführliche Anamnese mit genauer Schmerzanalyse und die gewissenhafte Untersuchung der Schulter in Bezug auf Befund und Funktion ihre Bedeutung nicht verloren.“ Darauf weist Dr. Lehmann deutlich hin. Ergänzt werden müssen sie natürlich mit den neuen Untersuchungsmethoden wie Ultraschall, Röntgen oder eventuell Kernspintomographie. 

Die Therapie der „frozen shoulder“ richtet sich nach dem jeweiligen Stadium. Wichtig ist zunächst die Aufklärung der Patienten über das Krankheitsbild und den Verlauf. Zu Beginn der Erkrankung stehen ja die starken Schmerzen im Vordergrund. Es wird versucht, ihnen vor allem mit Schmerzmitteln und Medikamenten zur Entzündungshemmung zu begegnen. Unterstützend können zunächst milde Kälte und später feuchte Wärme eingesetzt werden. Einen wesentlichen Einfluss auf die Schmerzen haben aber die Spritzen in die Gelenkkapsel und die mitbetroffenen Schleimbeutel. Therapeuten – wie Dr. Lehmann – stehen dazu unterschiedliche Medikamente zur Verfügung, etwa Arnika, lokale Betäubungsmittel oder auch Kortison. Durch diese Injektionen gelingt es in der Regel, vor allem die besonders quälenden nächtlichen Schmerzen zu lindern. Erst wenn eine gewisse Schmerzminderung eingetreten ist, kann auch eine vorsichtige Krankengymnastik angewendet werden. 

Im zweiten Stadium dagegen – wenn die Schmerzen nachlassen – ist eine intensive krankengymnastische Behandlung angesagt. Zeigt diese keinen Erfolg und steift die Schulter trotz konsequenter Therapie weiter ein, können bei einer Gelenkspiegelung (Arthroskopie) die Verwachsungen und Verklebungen vorsichtig gelöst und die narbig geschrumpfte Gelenkkapsel gezielt wieder mobilisiert werden. „Damit kann heute auf minimal invasive Weise die Beweglichkeit wiederhergestellt werden. Der lange Krankheitsverlauf der primären Schultersteife lässt sich so in seiner zweiten Phase abkürzen“, erklärt Dr. Lehmann. 

Entscheidend ist die Nachbehandlung

Von großer Bedeutung für den Erfolg der Operation ist aber nicht nur der Eingriff an sich, sondern auch eine intensive krankengymnastische Nachbehandlung und weiterhin konsequentes Üben der Patienten zu Hause. Diese Phase kann u.U. mehrere Monate dauern, denn der Verlauf der Krankheit an sich lässt sich auch heute noch nicht abkürzen. Dr. Lehmann: „Die operierten Patienten haben aber statt der steifen Schulter eine für die normalen Funktionen ausreichend bewegliche Schulter und erlangen auch viel schneller die volle Beweglichkeit wieder.“

ORTHOpress 4 | 2001

Alle Beiträge dienen lediglich der Information und ersetzen keinesfalls die Inanspruchnahme eines Arztes*in. Falls nicht anders angegeben, spiegeln sie den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wider. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.