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Krankheitsbilder

Faszientraining

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Das menschliche Bindegewebe besteht aus einem Netz kollagenreicher Faszien (Fascia, lateinisch = Band, Bündel), welches unseren gesamten Körper durchzieht. Diese bandförmigen, feinen und reißfesten Häute verbinden Muskeln, Knochen und Sehnen und umhüllen auch unsere Organe. Zum Teil sind sie hauchdünn, zum Teil mehrere Millimeter dick.

Werden die Faszien zu wenig oder einseitig belastet, können sie verkleben oder verfilzen. Dadurch kommt es zu Muskelverspannungen, Gelenk- oder Rückenschmerzen und Einschränkungen der Beweglichkeit. Es ist allerdings möglich, diesen Prozessen entgegenzuwirken. Eine Methode, mit der dies erreicht werden soll, ist das Faszientraining. Einrichtungen wie das von Robert Schleip geleitete Faszien-Forschungszentrum der Universität Ulm beschäftigen sich bereits seit Jahren mit dem Faszientraining. Schleip vergleicht die einzelnen Faszien mit Balletttänzern, die normalerweise elegant aneinander vorbeigleiten. Wenn die Faszien jedoch verkleben, sei dies nicht mehr möglich. Man müsse sich das so vorstellen, als habe man ein verschwitztes Hemd an, das beim Bücken nicht, wie gewöhnlich, an der Haut entlanggleitet, sondern an ihr haftet. Je länger Faszien bewegungslos verharrten, desto stärker würden sie mit der darunter liegenden Muskulatur oder benachbarten Faszienhüllen verkleben. Solange dieser Prozess aber noch nicht vollständig abgeschlossen ist, sei er durch körperliche Aktivitäten wieder rückgängig zu machen. Insgesamt werden vier verschiedene Komponenten des Faszientrainings unterschieden:

Federn (Rebound Elasticity): Die Anwendung des Katapultmechanismus

Dass Kängurus bei ihren Sprüngen, die eine Reichweite von immerhin bis zu 13 Metern haben, mit der Katapulttechnik arbeiten, wurde bereits vor einiger Zeit von Forschern entdeckt: Die Tiere spannen die Sehnen und Faszien ihrer Beine wie elastische Gummibänder vor und lassen die darin gespeicherte Energie anschließend los. Inzwischen geht man davon aus, dass adäquate Mechanismen auch beim Menschen zum Tragen kommen und wir einen erheblichen Teil unserer Beschleunigungskraft aus der Federung der Faszien beziehen. So wurde durch Versuche mit tragbaren Ultraschallgeräten festgestellt, dass die Achillessehne beim Laufen, Springen und Hüpfen wie eine elastische Feder vorgespannt wird, sodass Energie gespeichert und in effiziente Bewegung umgesetzt wird. Vermutet wird, dass dieser Effekt auch bei den sehnigen Faszien des Schultergürtels und der Rückenfaszie zum Tragen kommt. Beim Faszientraining macht man sich den Katapulteffekt durch verschiedene federnde Übungen – z. B. in Form von Hantelschwingen – zunutze.

Beleben (Fascial Release): Die Behandlung mit der Faszienrolle

Das Training mit der Faszienrolle ist eine Selbstmassage, mit deren Hilfe Verklebungen gelöst werden. Erklärt wird dies damit, dass sich zwischen den Faszien kleine tautropfenartige Gebilde aus Hyaluronsäure befinden, welche die Funktion eines Gleitmittels erfüllen. Der Einsatz der Rolle dient dazu, diese Flüssigkeit gleichmäßig zu verteilen. Obwohl sich die Methode für alle Körperbereiche eignet, lässt sie sich am besten an Schulter-Nacken-Bereich, oberem und unterem Rücken, Gesäß, Oberschenkel und Waden anwenden. Als zusätzlicher Effekt wird betrachtet, dass angestautes Gewebewasser ausgepresst wird. Außerdem bindet das Fasziengewebe, welches eine moosartige Struktur besitzt, nach dem Training deutlich mehr Wasser. Es wird empfohlen, immer in verschiedene Richtungen zu rollen, um alle Verzweigungen des Gewebes zu erreichen. Als Beispiel soll hier die folgende Übung beschrieben werden:

1. Legen Sie sich auf die linke Seite und stützen Sie sich mit dem linken Unterarm auf, sodass sich der Ellenbogen unter der Schulter befindet.

2. Platzieren Sie die Faszienrolle direkt unter Ihrem linken Beckenkamm. Dabei strecken Sie Ihr linkes Bein aus und stellen Ihr rechtes Bein davor auf.
Mit der rechten Hand stützen sie sich vor dem Oberkörper ab.

3. Rollen Sie langsam vom Beckenkamm die Außenseite des Oberschenkels abwärts in Richtung Knie. Sobald Sie kurz oberhalb Ihres Knies angekommen sind, rollen Sie langsam bis zur Ausgangsposition zurück.

4. Wiederholen Sie die Übung anschließend auf der rechten Seite.

Spüren (Propriozeption):

Faszientrainer weisen darauf hin, dass die Selbstwahrnehmung unseres Körpers ihren Sitz schwerpunktmäßig im faszialen Netzwerk hat, und betrachten die Faszien als „verborgenen sechsten Sinn“. Vor allem in den oberflächlichen Faszienschichten sind zahlreiche Sensoren angesiedelt. Je mehr diese Sensorik verfeinert ist, desto geschmeidiger sind unsere Bewegungen. Beim Faszientraining nimmt die Schulung der Eigenwahrnehmung einen wichtigen Stellenwert ein

Dehnen (Fascial Stretch):

Lange Faszienketten werden über mehrere Gelenke hinweg gedehnt. Dabei unterscheidet man zwischen passivem, „schmelzendem“ Dehnen mit entspann-ter Muskulatur und aktiv geladenen Dehnungen, bei denen die Muskeln aktiviert werden. Empfohlen wird, die Dehnungsrichtung immer wieder zu ändern, um das Fasziennetz in möglichst vielen Richtungen zu stimulieren. Während man früher federnde Wippbewegungen beim Dehnen grundsätzlich für schädlich hielt, werden diese, wenn sie in einem eng begrenzten adius tattfinden, eute durchaus als sinnvoll betrachtet.

Das Fasziennetz – ein Organ mit vielfältigen Aufgaben

Den Muskeln verhelfen die Faszien, deren Masse insgesamt bis zu 23 Kilogramm beträgt, zu Form, Festigkeit und Elastizität. Ihre Reißfestigkeit ist so groß, dass sie eine Zugkraft von über 60 Kilogramm aushalten. Aber auch den inneren Organen geben sie Halt und sorgen dafür, dass sie an ihrem Platz bleiben und nicht nach unten rutschen. Andererseits gewährleisten sie auch, dass sich Organe bei Bedarf verschieben können, was etwa bei der Atmung, aber auch in der Schwangerschaft zum Tragen kommt. Darüber hinaus besitzen die Faszien auch zahlreiche Schmerz- und Bewegungs-
sensoren und dienen als Sinnesorgane für die Propriozeption. Außerdem erfüllen sie wichtige Aufgaben für das Immunsystem. 

von Klaus Bingler

aus Orthopress 4/18

Fragen und Antworten

Ist Faszientraining sinnvoll?

Wird Faszientraining richtig durchgeführt, ist es eine sinnvolle Ergänzung zum Muskeltraining. Ohne eine ausreichende Betätigung der Muskulatur kommt es allerdings zu keinem Trainingseffekt.

Warum ist Faszientraining wichtig?

Indem Druck auf das Bindegewebe ausgeübt wird, wird Flüssigkeit im Gewebe ausgetauscht. Es kommt zu einem Abtransport von Lymphe und Stoffwechselprodukten. Durch langsamen und gut dosierten Druck lässt sich der Faszien- und Muskeltonus senken, sodass sich Verspannungen und Verklebungen lösen können.

Was bewirkt die Faszienrolle?

Die Faszienrolle kann Faszien, die durch Stress, Bewegungsmangel, oder Überlastung verkleben, zu neuer Elastizität verhelfen. Sie eignet sich für die Selbstmassage, die aktive Regeneration und auch das Kraft- und Koordinationstraining.