Zur Beantwortung dieser Frage ist es notwendig, ein paar Grundlagen zu erläutern: Die Anatomie und Biomechanik der Wirbelsäule ist sehr komplex. Die Wirbelsäule ist eine Struktur, die unter Einfluss eines empfindlichen Kräftegleichgewichts funktioniert. Der vordere Teil, d. h. die Wirbelkörper und Bandscheiben, z. B. der unteren Lendenwirbelsäule tragen ungefähr 80 – 90 Prozent der axialen Last, während die kleinen Wirbelgelenke (Facettengelenke) als hintere Anteile der Wirbelsäule ca. 10 – 20 Prozent der Last tragen. Außerdem ist die Wirbelsäule grundsätzlich mit einem Gegensatz konfrontiert. Sie soll uns als zentrales Stützorgan des Rumpfes in allen Lagen des Körpers Halt geben. Gleichzeitig soll sie in mehreren Ebenen Bewegung ermöglichen. Dieser Gegensatz fordert der menschlichen Wirbelsäule – einer der wenigen, die den aufrechten Gang bewältigen muss – einiges ab. Dementsprechend anfällig ist dieses fragile Gleichgewicht zwischen Stabilität und Beweglichkeit für Überlastungen.
Auch wenn es, im Falle des Versagens der konservativen Therapie, um operative Lösungsmöglichkeiten geht, gilt es, die Problematik der beschriebenen Gegensätze zu beachten. Beispielsweise wird eine Instabilität der Wirbelsäule mit stabilisierenden Verfahren, z. B. einer Versteifung, behandelt. Wenn die Instabilität demgegenüber nicht das Problem darstellt, können bewegungserhaltende Versorgungen an der Wirbelsäule von Vorteil sein. Gelegentlich werden beide oben genannten Verfahren in einer Operation nebeneinander angewendet (sogenannte Hybridverfahren wie in Abbildung 1 dargestellt).
Aufgrund der Nachteile, die stabilisierende Verfahren mit sich bringen, wie Funktionsverlust durch Wegfall von Beweglichkeit und dessen Effekt auf die benachbarten Bewegungssegmente, die diesen Verlust an Funktion kompensieren müssen, sollte versucht werden, bewegungserhaltende Verfahren vorzuziehen, wenn die Stabilität des betroffenen Wirbelsegmentes nicht wesentlich beeinträchtigt ist. In diesen Fällen kommt unter anderem ein Bandscheibenersatz durch Implantation einer künstlichen Bandscheibe (Bandscheibenprothese) infrage. Trotz der oben genannten Komplexität wurden auf dem Gebiet der Bandscheiben-ersatztechnologie große Fortschritte mit vielversprechenden Ergebnissen erzielt.
Zu einem erfolgreichen Operationsergebnis nach Implantation einer künstlichen Bandscheibe tragen verschiedene Faktoren bei. Insofern ist die Auswahl des jeweils besten Behandlungsverfahrens für jeden einzelnen Betroffenen unumgänglich. Die Anamneseerhebung und die körperliche Untersuchung der Patienten sind die ersten Schritte in der Auswahl der Personen, die von der Implantation einer Bandscheibenprothese profitieren würden. Die im Vorfeld einer operativen Versorgung sinnvollen bildgebenden Verfahren umfassen typischerweise Röntgenaufnahme im Stehen; mittels Bewegungsaufnahmen (sogenannten Funktionsaufnahmen) kann eine mögliche Instabilität ausgeschlossen werden. Die Magnetresonanztomografie liefert wertvolle Hinweise, vor allem bezüglich des Ausmaßes der Abnutzung der Bandscheibe sowie der Wirbelgelenke und über das mögliche Vorliegen eines Bandscheibenvorfalles, gegebenenfalls mit Kompression von Nervenstrukturen. Eine Computertomografie kann weiterführende Informationen zur Knochenstruktur der Wirbel liefern. Gelegentlich ist eine Knochen-szintigrafie zur Komplettierung der Diag-nostik sinnvoll.
Sollte das Wirbelsäulenleiden im konkreten Fall die Implantation einer Bandscheibenprothese sinnvoll erscheinen lassen, müssen einige Gegenanzeigen (Osteoporose wegen des Risikos eines Einbruchs des Implantates, floride Infektionen etc.) ausgeschlossen werden, um den Patienten ein gutes Behandlungsergebnis zu verschaffen.
Neben der Patientenselektion sind die entsprechende Implantatauswahl und die richtige Operationstechnik nicht von weniger Bedeutung. In diesem Zusammenhang sind vor allem biomechanische Kenntnisse zum optimalen Sitz der Bandscheibenprothese notwendig, da dies für die optimale Funktion des Implantates einen wesentlichen Faktor darstellt.
Der chirurgische Zugang zur Implantation von Bandscheibenprothesen erfolgt von vorne; im Falle der Lendenwirbelsäule durch den Bauchraum sowie im Bereich der Halswirbelsäule durch einen Schnitt an der Vorderseite des Halses. Stabilisierende Operationen dagegen können je nach konkretem Operationsziel an der Hals- und Lendenwirbelsäule von vorne oder hinten oder kombiniert von vorne und hinten erfolgen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei der korrekten Auswahl des entsprechenden Verfahrens für den Einzelfall bei Versagen der konservativen Therapie stabilisierende Verfahren wie auch bewegungserhaltende Verfahren zu einem guten Ergebnis für die Betroffenen führen. Bandscheibenprothesen haben gegenüber Versteifungen den Vorteil einer geringeren Beschleunigung der Verschleißveränderungen der angrenzenden Wirbelsegmente. Sie sind jedoch von ihrer Natur her eher für Betroffene mit noch nicht so fortgeschrittenen Degenerationen, also tendenziell biologisch jüngere Patienten, geeignet. Sie ermöglichen eine tendenziell schnellere Rückkehr in ein aktives und relativ uneingeschränktes Leben. Als Nachteil ist demgegenüber ein geringes Risiko der Spontanfusion, also dem „Überwachsen“ von Knochen über die beweglichen Teile der Prothese hinweg, über den Verlauf von Jahren bis Jahrzehnten ins Feld zu führen.
Insofern lässt sich die Frage Bandscheibenprothese oder Versteifung bei Wirbelproblemen nicht pauschal beantworten, sondern muss im Einzelfall mit den entsprechenden Vor- und Nachteilen jedes Verfahrens entschieden werden. Sofern möglich, sind bewegungserhaltende Techniken wie die Implantation von Bandscheibenprothesen mit einigen Vorteilen gegenüber versteifenden Verfahren verbunden.
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Dr. med. Hassan Allouch, MBA, M. Sc.
Chefarzt Wirbelsäulenchirurgie
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Wirbelsäulenchirurgie
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