Alternativen zur Behandlung bandscheibenbedingter Rückenschmerzen
Bandscheibenvorfälle können Nacken- und Rückenschmerzen mit oder ohne Ausstrahlung in die Extremitäten oder in den Hinterkopf, Kribbeln, Taubheitsgefühl, Schwäche, Schwindel, Schlafstörungen, Blasenentleerungs-, unter Umständen auch Sexualstörungen auslösen. Diese Beschwerden können aber auch durch Abnutzungserscheinungen, durch fehlerhafte Körperhaltung sowie Muskelverspannungen hervorgerufen werden.
Schmerzen aber sind auf Dauer unerträglich und beeinträchtigen die Lebensqualität erheblich. ORTHOpress sprach mit dem Berliner Neurochirurgen Dr. Munther haj Ahmad über diesen zentralen Problembereich.
Herr Dr. haj Ahmad, wieso bringt eine offene Operation in vielen Fällen nicht den gewünschten und erhofften Erfolg?
Die Unzufriedenheit vieler operierter Patienten rührt daher, dass die Beschwerden trotz des Eingriffs weiter anhalten. Schulitz et al. (Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 9, 5.3.99) etwa sprechen von einer 20-prozentigen Misserfolgsrate; bei immerhin 30% der offen operierten Patienten bestünden weiterhin chronische Schmerzen. Das hat vor allem mit der Indikationsstellung zu tun, d.h. in den gegebenen Fällen wurde möglicherweise zu früh operiert. Auch spielen weitere Faktoren eine Rolle: ob der Eingriff mikrochirurgisch oder mittels eines Endoskops vorgenommen wurde, ob bei der Operation Strukturen, wie etwa Venen, verletzt worden sind, ob danach Verwachsungen entstanden sind. – Manche Patienten lassen sich auf Grund der verbleibenden Beeinträchtigung immer wieder operieren – was m.E. den Sinn einer solchen Therapie in ein fragwürdiges Licht rückt.
Sollte die offene Operation Ihrer Ansicht nach gar nicht durchgeführt werden?
Unter bestimmten Umständen sind mikrochirurgische Eingriffe bei Bandscheibenvorfällen der einzig mögliche Weg, obwohl sie mit gewissen Risiken verbunden sind.
Bleibt dem Patienten also nichts anderes übrig als entweder lebenslang Medikamente einzunehmen oder aber das Risiko einer offenen Operation auf sich zu nehmen?
Mit der Medikamentengabe, gleich ob Tabletten oder Spritzen, werden die Schmerzen nur unterdrückt. Dadurch erreicht man keine ursächliche Behandlung. Allein von NSAR bekommen jährlich 10.700 Patienten ernsthafte Komplikationen wie Magenblutungen; davon sterben jährlich 1.100 bis 2.200.
Die CT-gesteuerten Infiltrationen bringen manchmal eine vorübergehende Linderung, jedoch besteht eine starke Strahlenbelastung. Es gibt jedoch eine Reihe von nicht-medikamentösen Methoden, die ein Patient zur Vermeidung einer Operation und sofern diese nicht absolut indiziert ist, versuchen sollte. Bei genau lokalisierbaren Schmerzen im Rücken etwa können die Vereisung oder die Radiofrequente Denervation helfen. Bei „frischen“ Bandscheibenvorfällen ist die Laserschrumpfung zur Entlastung der Nervenstrukturen geeignet. Bei der Kathetertechnik handelt es sich um ein Verfahren, bei dem durch Einlage eines dünnen Katheters in den Wirbelkanal Kochsalz, Enzyme und weitere Substanzen gegeben werden, die – nach Angaben der Fachliteratur mit einer ebenfalls sehr hohen Erfolgschance – zu einer Schrumpfung des Vorfalls führen und Verwachsungen lösen können.
Eine weitere alternative und dabei sehr junge Methode ist die Interleukin-Therapie, die nach Ansicht von zahlreichen Experten zu großer Hoffnung berechtige. Dabei wird ein körpereigenes Protein zum Wiederaufbau des Knorpelgewebes aus dem eigenen Blut des Patienten gewonnen und in den Bereich der veränderten Bandscheibe gespritzt, um die Regeneration der Bandscheibe zu fördern und den Verschleiß zu verringern.
Wie beurteilen Sie insgesamt die Wirksamkeit, aber auch mögliche Nachteile dieser Methoden?
Bei den minimalinvasiven Methoden handelt es sich um schonende und in vielen Fällen effektive Methoden zur Behandlung einerseits von Schmerzen, andererseits aber auch zur Bekämpfung der Ursache dieser Schmerzen. Insbesondere für ältere Patienten mit zusätzlichen Erkrankungen ist es wichtig zu wissen, dass es mögliche Alternativen zur „großen“ Op gibt. Nebenwirkungen und Komplikationen sind auch hier zu finden, jedoch weit seltener und weniger gravierend als bei einer offenen Operation. Komplikationen wie Instabilität und Verwachsung sind dagegen bei den minimalinvasiven Verfahren nicht bekannt.
Was, wenn mehrere Operationen oder sonstige Maßnahmen die Schmerzen nicht lindern können?
Bei Patienten, die sich schon mehrfach an der Bandscheibe haben operieren lassen, ist die Methode der Rückenmarksstimulation (SCS) als schonende, nicht-medikamentöse Behandlung eine große Hilfe. Mittels eines Tests wird zuvor ermittelt, ob die Methode Erfolg versprechend angewandt werden kann. Indiziert ist die SCS nicht nur bei Postdiskektomie-Syndrom, sondern auch bei Fantomschmerzen, CRP und AVK. Dabei werden feine Elektroden im Bereich des Spinalkanals platziert. Durch programmierte Stimulation werden die Schmerzimpulse geändert oder unterdrückt, so dass die Patienten statt Schmerzen ein angenehmes Kribbelgefühl spüren. Die Ursache selbst wird dadurch kaum beeinflusst, jedoch kommt es bei einer Vielzahl von Patienten zu einer deutlichen Schmerzlinderung. Darüber hinaus bestehen weitere minimalinvasive Verfahren zur Schmerzbehandlung.
Herr Dr. haj Ahmad, vielen Dank für Ihre Ausführungen!
Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 3 | 2001
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.