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Wenn kleine Kinder, die gerade zu laufen beginnen, mit O-Beinen herumwatscheln, ist das zunächst einmal völlig normal. Auch wenn ihre Beine dann im Alter von zwei bis fünf Jahren vielleicht eher eine X-Bein-Stellung aufweisen, oft in Verbindung mit leichten Knick-Senkfüßen, braucht man sich im Allgemeinen keine Sorgen zu machen. Ist die Abweichung jedoch sehr stark oder verwachsen sich die X- oder O-Beine auch bis zur Pubertät nicht, sollte man einen Kinderarzt zurate ziehen.
X– und O-Beine, die den Rahmen der normalen kindlichen Entwicklung überschreiten, können unterschiedliche Ursachen haben. In manchen Fällen sind sie angeboren. Unter Umständen entstehen sie als Folge einer Rachitis, einer Erkrankung des Knochenstoffwechsels, die häufig infolge eines Vitamin-D-Mangels auftritt, eines Unfalls oder einer Lähmung. Da Eltern ohne einschlägige medizinische Vorkenntnisse in der Regel nicht abschätzen können, wann eine Achsfehlstellung behandlungsbedürftig ist, sollten sie sich im Zweifelsfall immer an einen Kinderarzt wenden, welcher sie bei Bedarf an einen Facharzt verweisen kann. Dieser wird sich weniger an den sichtbaren Symptomen orientieren als vor allem daran, wie sich die Fehlstellungen auf den kindlichen bzw. jugendlichen und später erwachsenen Organismus auswirken. Während X- und O-Beine im Kindesalter in der Regel kaum Beschwerden verursachen, kann die Fehlstellung langfristig zu Fehlbelastungen des Kniegelenks führen und somit zu einer frühzeitigen Arthrose und/oder Schäden an den Menisken. Im schlimmsten Fall hat dies zur Folge, dass die Betroffenen bereits vor dem 40. Lebensjahr ein künstliches Kniegelenk benötigen. Um dies zu verhindern, sollte bei krankhaften Achsfehlstellungen eine genaue Ursachenforschung und anschließend eine geeignete Therapie stattfinden.
Diagnostik und Therapie
Bei der Diagnose steht zunächst das Ziel im Vordergrund, den genauen Grad der Achsabweichung festzustellen. Dazu muss der Arzt die Beine bzw. das gesamte Skelett des Patienten vermessen. Neben der Verwendung von herkömmlichen Röntgenaufnahmen besteht heutzutage darüber hinaus die Möglichkeit, moderne 3D-Messverfahren einzusetzen, mit denen Fehlstellungen unter Belastung dargestellt werden können.
Konservative Therapiemaßnahmen
Bei Patienten mit schmerzhaften Beinfehlstellungen lassensich die Symptome durch konservative Maßnahmen wie Orthesen oder spezielle Schuhzurichtungen oft zumindest für eine gewisse Zeit lindern. Übergewichtige mit X-Beinen sollten ihr Gewicht deutlich reduzieren, um die Belastung für die Kniegelenke zu verringern. In vielen Fällen ist jedoch eine Operation erforderlich, um Folgeerkrankungen entgegenzuwirken.
Operative Eingriffe bei Kindern
Krankhafte Achsfehlstellungen können im Kindesalter deutlich leichter korrigiert werden als im Erwachsenenalter. Wenn die Wachstumsfugen noch nicht geschlossen sind, besteht die Möglichkeit, das Wachstum mithilfe eines gezielten operativen Eingriffs in die richtige Richtung zu lenken. Eine solche „Wachstumslenkung“, medizinisch Epiphysiodese genannt, bringt, wenn sie sachgemäß durchgeführt wird, in der Regel gute Erfolge. Bei dem Eingriff wird ein kleines Implantat auf eine Seite der Wachstumsfugen des Oberschenkel- und/oder des Schienbeinknochens eingesetzt. Während das Implantat das Wachstum an der entsprechenden Stelle stoppt, schreitet dieses auf der anderen Seite weiter voran. Die Anwendung dieser Methode setzt eine exakte Achsenanalyse und die richtige Entscheidung für den Zeitpunkt der Operation voraus. Meist können die Kinder unmittelbar im Anschluss an die OP beide Beine wieder voll belasten. Falls sie noch unsicher sind oder unter Schmerzen leiden, können sie in den ersten Tagen Unterarmstützen zu Hilfe nehmen. Insgesamt beträgt der Aufenthalt in der Klinik etwa zwei bis drei Tage. Im Normalfall dürfen die Patienten nach etwa vier Wochen wieder Sport treiben. Um den Fortschritt zu überprüfen und eine Überkorrektur zu vermeiden, sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen dringend erforderlich. Häufig wird das gewünschte Ziel, abhängig vom Grad der Fehlstellung, innerhalb eines Jahres erreicht. Ist die Achsenbegradigung erfolgt, wird das Implantat im Rahmen eines zweiten Eingriffs wieder entfernt.
Operationen bei Erwachsenen
Sind die Wachstumsfugen bereits zu weit geschlossen, ist eine Wachstumslenkung nicht mehr möglich. In diesem Fall werden stattdessen sogenannte Umstellungsosteotomien durchgeführt. Zur Behandlung von O-Beinen stehen dabei, je nach Ausprägung und Knochenbeschaffenheit, zwei Möglichkeiten zur Verfügung:
- Öffnende Osteotomie unterhalb des Kniegelenks (Open-Wedge-Technik). Dabei wird der Schienbeinknochen unterhalb des Schienbeinplateaus von der Innenseite des Kniegelenks in Richtung Außenseite angesägt und auseinandergespreizt, bis das Bein die gewünschte Ausrichtung hat.
- Schließende Osteotomie (Keilosteotomie). Die Durchtrennung des Schienbeins erfolgt von außen nach innen. Nachdem ein Knochenkeil entfernt wurde, wird die entstandene Lücke zusammengezogen.
Anschließend werden die beiden Knochenteile durch eine Titanplatte miteinander fixiert. Bei X-Beinen erfolgt die Umstellungsosteotomie am unteren Ende des Oberschenkelknochens. Auch hier werden die Knochenfragmente mithilfe einer Platte in der gewünschten Stellung fixiert.
Nach erfolgtem Eingriff müssen sich die Patienten circa vier Tage im Krankenhaus aufhalten. Postoperativ findet eine Mobilisierung mit Unterarmstützen statt. Nach etwa sechs Wochen sind sie wieder in der Lage, leichte Tätigkeiten auszuführen. Körperlich anstrengendes Arbeiten ist nach rund drei Monaten wieder möglich. Nach einem Jahr sind die Patienten dann auch sportlich wieder voll einsatzfähig.
Am besten schon im Kindesalter operieren
Anders als eine Therapie der Wachstumslenkung, die nur aus zwei relativ kleinen Eingriffen besteht, stellt eine Umstellungsosteotomie eine wesentlich aufwendigere Operation dar. Zudem ist sie mit einer deutlich größeren Belastung für den Patienten verbunden. Daher empfehlen Ärzte in der Regel, die Fehlstellung bereits im Kindesalter operieren zu lassen. Dennoch empfiehlt sich bei Erwachsenen mit X- oder O-Beinen, bei denen eine beginnende Arthrose festgestellt wurde, eine Umstellungsosteotomie, um auf diese Weise den Einsatz eines künstlichen Gelenks hinauszuzögern oder zu verhindern.
von Rita Lütze-Brandner
Wie lassen sich Achsfehlstellungen physikalisch beschreiben?
Wenn wir im Stand bei geschlossenen Beinen den Oberschenkelkopf und das obere Sprunggelenk durch eine imaginäre Linie, die sogenannte mechanische Achse, miteinander verbinden, verläuft diese normalerweise direkt durchs Knie. O-Beine zeichnen sich dadurch aus, dass der Abstand zwischen den Kniegelenken vergrößert ist. Dies bedeutet, dass die mechanische Achse innen am Kniegelenk vorbeiläuft. In der Medizin spricht man von einem Genu varum. Bei X-Beinen dagegen weichen Unterschenkel und Knöchel nach außen ab, sodass die Beine an den Knien nach außen gekrümmt wirken. Die Verbindungslinie zwischen Oberschenkelkopf und Sprunggelenk läuft somit außen am Knie vorbei. Ärzte bezeichnen diese Fehlstellung als Genu valgum.
Weitere Achsfehlstellungen
Neben X- und O-Beinen können weitere Achsfehlstellungen an den Beinen auftreten, wie zum Beispiel das sogenannte Genu recurvatum, bei dem das Knie deutlich überstreckt werden kann. Wenn Ober- und Unterschenkel verdreht sind, spricht man von Torsionsfehlstellungen. Auch in diesen Fällen raten Ärzte dazu, die Fehlstellungen operativ zu behandeln, um die Entstehung einer Folgearthrose zu verhindern.